Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 24. Juli 2016

Variationen des Blättrigen I

Während ich Kaffee trank, fiel mein Blick auf die Pflanze. Mir gefiel die Form ihrer Blätter. Und auch ihren Duft mochte ich sehr. Ich nahm sie häufiger zum Würzen von Speisen. Als ich sie mir näher ansah, bemerkte ich eine Zahl. Auf der Unterseite eines der oberen Blätter. Es war eine 3. Schon entdeckte ich weitere Zahlen. Da war die 2, etwas weiter unten die 5. Direkt daneben die 7. Es waren Primzahlen. Und bei eingehender Betrachtung zeigte sich, dass unter allen Blättern Zahlen waren. Ich kam bis 101. Vielleicht waren sie aufgeklebt. Ich berührte eine der Zahlen. Ich konnte sie nicht lösen. Die Zahlen waren also in den Blättern. Ein Teil von ihnen. Und ich fragte mich, wie lange die Zahlen wohl schon dort waren. Auf den Blättern. Und warum sie mir vorher nicht aufgefallen waren. Und wie viele dieser Blätter ich bereits gegessen hatte. Mit den Zahlen. Und was die Zahlen in und mit mir machten. Ich ging ins Bad. Mir war nach etwas Kühlem. Und ich ließ mir Wasser über die Hände laufen. Als ich dann in den Spiegel schaute, waren da Zahlen. In meinem Gesicht. Auf meinem Hals. Auf meinen Ohren. An meiner Stirn. Ich sah auf meine Unterarme. Und blickte auf meine Füße. Da waren überall Zahlen. Auf meinem Körper. Dicht an dicht. Die Zahlen waren einstellig. Zweistellig. Dreistellig. Und soweit ich es überblicken konnte, hatte ich es auf meiner Haut nicht nur mit Primzahlen zu tun. Ich sah die 1. Neben meiner Nase. Auf meinem linken Knie war die 608. Das war die höchste. Die ich entdecken konnte. Das Besondere war, dass sich die Zahlen nur auf der Vorderseite meines Körpers befanden. Mich erinnerte das an ein Spiel. Und ich beschloss, die Zahlen miteinander zu verbinden. Ich nahm einen Stift. Begann mit der 1. Und arbeitete dann systematisch weiter. Ich verband die Zahlen. Miteinander. Bis zur 608. Und so verliefen schließlich unzählige Linien über meinen Körper. Als ich damit fertig war, trat ich vor einen großen Spiegel. Und ich sah die Umrisse und innere Struktur eines Blattes. Ganz fein verästelt. Es glich meiner Pflanze. Und es roch auch wie sie. Ich verströmte den Duft dieser Pflanze. Ich ging zurück in die Küche. Weil ich durstig war. Alles blühte hier. Und in dem Blumentopf, wo doch sonst die Pflanze war, da war jetzt ich. Meine Beine steckten tief in der Erde. So spross ich. Und wuchs. Und ich goss mich. Weiter.

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