Man zeigte mir Karten. Sie waren
quadratisch. Und hatten die Größe von Schachbrettern. Es war ein Test. Ich war
hier, um meine Augen zu überprüfen. Sonst waren es Zahlen. Oder Buchstaben. Die
man mir vorhielt. Heute waren es Bilder. Man hatte mich gebeten, zu jeder Karte
eine Geschichte zu erzählen. Es reichten drei, vier Sätze. Die Bilder hatten
keine klare Abfolge. Mal war das Motiv deutlich zu erkennen. Dann wiederum war
alles verschwommen. Bis zur Unkenntlichkeit. Es waren nur noch Farbfelder, die
unabgegrenzt ineinander übergingen. Im Klaren sah ich Landschaften. Menschen.
Und Gegenstände. Im Unabgegrenzten erkannte ich ganze Länder. Und in meinen
Geschichten durchschritt ich sie. Ich ließ mich nieder. An Flüssen. Ich badete.
Im Meer. Ich durchquerte die Wüste. Und erkundete die Steppe. Ich traf auf
Bären. Und Wölfe. Manchmal begegnete ich Menschen. Einige boten mir einen Platz
an. Für die Nacht. Ich gewann Freunde. Ich lernte ihre Sprache. Ihren Gesang.
Und ich war mutig. Und so bat ich am Ende um eine Sehhilfe, die mich darin
leben ließ. In diesen unabgegrenzten Flächen. In denen ich fortan zu Hause war.
Dienstag, 28. Februar 2017
Luminary
Heute sind sie mir zum ersten Mal aufgefallen.
Als ich über den Boulevard spazierte. Sie kamen mir entgegen. Leuchtende
Menschen. Sie gingen an mir vorüber. Und als ich mich nach einigen Schritten nach
ihnen umsah, waren einige von ihnen wieder erloschen. Ich setzte meinen Weg
fort. Und schon kamen mir die nächsten entgegen. Leuchtkörper. Ich setzte mich
an einen Tisch. In einem Straßencafé. Von hier hatte ich die Passanten gut im
Blick. Und auch auf der Terrasse waren sie. Einige waren ganz hell. Wie von
innen beleuchtet. Vielleicht tranken sie phosphorisierende Getränke.
Frühstückten Glühbirnen. Oder hatten Sonnen. In sich. Und dann erloschen sie. Wieder.
Wie ausgeknipst. Ich versuchte, das Gesetz hinter dem Leuchten zu finden. Eine
Gesetzmäßigkeit. Einen Auslöser. Auslöser traf es gut. Denn sie gingen ja. Aus.
Um irgendwann wieder anzugehen. Vielleicht waren da Kontakte. Im Pflaster. An
den Ampeln. Oder in den Platanen. Vielleicht gab es sogar Kontaktstellen. In
den Läden. Geschäften. Und Restaurants. Möglicherweise waren da Lichtschranken.
Die sie passierten. Am Tisch neben mir saß jemand. Dann sah ich, dass auch er leuchtete.
Ich sprach ihn an. Auf das, was ich sah. Er antwortete mir nicht. Stattdessen
blickte er mich an. Aus leeren Augen. Es waren erloschene Augen. So wie er selbst
jetzt. Ein ausgeschalteter Körper. Dann stand er auf. Nach einigen Metern
begann wieder dieses Leuchten. Und er kam zurück zu mir. An meinen Tisch. „Ich
bin ein Schein“, sagte er. Und strahlte.
Montag, 27. Februar 2017
Eismond
Ich ging. Stufe für Stufe. Ohne zu wissen,
wohin mich die Treppe führte. Ich war in den Arkaden unterwegs. Mit ihren
Geschäften. Weil ich ein Buch suchte. Da sah ich die Treppe. Im hinteren
Bereich. Der ersten Etage. Ich blickte auf die Uhr. Und ging. Noch immer. Es war eine Stunde
vergangen. Seit ich am Treppenabsatz stand. Und mich entschloss, hochzugehen.
Als ich oben ankam, befand ich mich auf einem Plateau. Über mir ein
Himmelskörper. Der leuchtete. Er hatte die Form eines Mondes. Und schien von
Eis bedeckt. Ich streckte mich ihm entgegen. Und tatsächlich: Ich spürte das
Eis an meinen Händen. Ich zog den Mond ein Stück hinunter. Zu mir. Und nahm den
Stein. Der direkt neben mir lag. Ich begann, sanft zu klopfen. Die Eiskruste
löste sich. Und dahinter war Wasser. Ein ganzer Ozean. Im Licht der Morgensonne.
Ich stieg hinein. Und schwamm. Im Wasser tönte es jetzt. Ich hörte eine Stimme.
Die eine Geschichte erzählte. Und ich erkannte, dass es das Buch war. Und schwamm
weiter. Bis zur letzten Seite.
Schneefenster
Es war Sommer. Eine leichte Schwüle lag über
der Stadt. Ich hatte im Zentrum zu tun. Und ging auf der Seite der Straße, die
im Schatten lag. Dann blieb ich vor einem Schaufenster stehen. Als ich
hineinsah, schneite es. Darin. Auf dem Boden lag dichter Schnee. Das Weiß glitzerte.
Und der Anblick war mir sehr angenehm. Denn ich sehnte mich nach der Kühle.
Vorsichtig ging ich einen Schritt nach vorn. Auf das Fenster zu. Die Scheibe
gab nach. Und ich trat ein. In den Raum. Schon stand ich mit meinen Sandalen im
Schnee. Etwas weiter hinten sah ich einen Baum. Der ganz kahl war. Jetzt. Im
Winter. In seinen Ästen hingen Kleidungsstücke. Ich nahm den Mantel. Eine
wattierte Hose. Kniestrümpfe. Einen Pullover. Stiefel. Und Handschuhe. Ich zog
alles über meine Sommersachen. Meine Sandalen legte ich in eine Astgabel. Dann
ging ich los. Ich lief auf einen Teich zu. Der gefroren war. Jetzt erkannte
ich, wo ich war. Es war der Park. In dem ich manchmal Spaziergänge machte. Ich
ging weiter. Bald schon befand ich mich in meinem Viertel. Und folgte der
Straße, die zu meiner Wohnung führte. An der Straßenecke blickte ich hoch. Zu
meinen Fenstern. Und sah, dass Licht in meiner Wohnung war. Ich öffnete die
Haustür. Dann den Briefkasten. Ich fand eine Tageszeitung. Vom 17. Dezember.
Und überlegte. Ich war vom Sommer in den Winter gegangen. In einen Winter, der
erst noch kam. Fünf Monate später. Ende des Jahres. Alles hatte sich verschoben.
Von der sommerlichen Straße aus, auf der ich mich vorhin noch befand. Ich fragte
mich, wer in meiner Wohnung war. In der Licht brannte. So ging ich nach oben.
Und setzte mich auf die Treppe. Ein halbes Stockwerk höher. Von wo aus ich
meine Wohnungstür gut im Blick hatte. Irgendwann ging die Tür auf. Heraus kam eine
Frau. Und dann verstand ich.
Mittwoch, 22. Februar 2017
Scriptorium
Ich schlug das Buch auf. Und blätterte
darin. Es war bis Seite 13 nummeriert. Dann folgten leere Blätter. Ich las. Dreizehn
Seiten. Es war eine Geschichte. Die in sich geschlossen war. Ich betrachtete
die weißen Seiten. Dahinter. Und überlegte, für was man Raum gelassen hatte. In
dem Buch. Die Geschichte gefiel mir. Ich legte das Buch beiseite. Ich hatte
noch auswärts zu tun. Am Abend nahm ich es wieder zur Hand. Und ich las die
Geschichte. Ein zweites Mal. Wieder war ich erstaunt, dass sie zu einem klaren
Abschluss fand. Ich überlegte. Kam aber nicht weiter. Mit den leeren Seiten. Im
Buch. Ich blätterte erneut in ihm. Um mich der Weiße und Leere zu vergewissern,
die auf Seite 13 folgte. Und dann stieß ich auf etwas. Da war eine Seitenzahl.
Im hinteren Teil des Buchs. 151. Und auf dieser Seite stand ein Wort: Zugang.
Das Wort bestand aus sechs Buchstaben. Die Quersumme der Seitenzahl 151 war 7. Addierte
ich 6 und 7, so kam ich auf 13. Dass ich wieder auf genau diese Zahl stieß,
machte mich sicherer. Und gab mir das Gefühl, mich dem Buch und seinem
Innenleben ein wenig anzunähern. Und vielleicht hatte ich mir mit dem
Innenleben selbst ein Stichwort gegeben. Denn ich las jetzt ein drittes Mal die
Geschichte. Ich suchte sie ab. Und durchkämmte sie. Nach Hinweisen. Und da ein Schlüssel
die 13 war, nahm ich auch hier die Quersumme (4). Und vermutete einen Hinweis
auf Seite 4. Vielleicht gab es hier einen Zugang. Vielleicht war die Seite 4
der Zugang. So schlug ich sie auf. Und las: “Looking at the pictures is too much for him, so he pushes them
aside and turns his attention to the papers. There are four piles in all, each
about six inches high. For no particular reason that he is aware of, he reaches
for the top page on the pile farthest to the left. The handwritten words,
printed out in block letters similar to the ones on the strips of white tape,
read as follows:” *
Maybe it´s a
different book.
* Paul Auster:
Travels in the Scriptorium, p.4
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