Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 30. Januar 2022

Einwort

 

Dieser Strand ist anders.

Man hat Schaukästen aufgestellt.

In ihnen zeigen sich Zeichen.

Betrachtet man sie länger,

so meint man,

etwas herauszulesen.

Es könnte Seeeis heißen.

 

Schon ruft jemand das Wort in den Wind.

Dann zieht ein Sturm auf –

und die Nacht gleitet am Tag vorbei.

 

Der Morgen ist klar.

Schaut man jetzt aufs Meer,

gleicht es einem verspiegelten Fenster.

 

Vielleicht ruht es darunter.

 

Man sieht Vögel,

die es streifen –

Seeadler und Sturmmöwen,

deren Flügel schon nach einer kurzen Berührung glänzende Spiegel sind.

 

Auch das Wetter ist jetzt nichts als Glanz –

und hält ihn -

Stunde für Stunde, Tag für Tag.

Es hält ihn und zieht ihn dann mit sich –

durch ein offenes Fenster der Zeit.

 

Am Strand ist es anders.

Dort sehnt man ein Sommergewitter oder auch wehenden Schnee herbei –

irgendetwas jenseits des verspiegelten Glanzes.

Nichts davon zieht auf.

Das Warten wird lang,

bis alles ermüdet und dem Schlaf verfällt.

 

Der Seebrücke wachsen Dornen.

Der Sand entkommt.

Die Zeit zieht –

in einen Gang hinein.

Lang ist ihr Lauf.

 

Und später, sehr viel später,

(zu einer Zeit, wo sich die Zeit nicht mehr an sich selbst erinnert),

ruft jemand in einer geräumten Bucht das Wort in den Wind –

und weckt ein Meer,

das unerkannt unter den Städten lebt.

Mittwoch, 26. Januar 2022

Zeitvertreib

 

Es ist Winter.

Und in grobmaschigen Mänteln kommen wir auf dem großen Platz zusammen.

Wir stehen dicht beieinander und schauen nach oben.

 

Über der Stadt hat man ein Netz gespannt.

Und seine Bahnen zeichnen sich auch hier vor uns auf dem Boden ab –

als langgezogene Schatten,

die immer näher rücken.

Wir weichen zurück in Richtung Brunnen.

Hier stehen wir freier.

 

Doch da ist etwas.

Wir lauschen.

 

In den Häusern ringsum tagt eine Jagdgesellschaft.

Wir hören hell tönende Hörner, das Bellen von Hunden und hallende Schüsse.

Dann flattert etwas über den Platz und bleibt reglos vor uns liegen.

Jemand löst sich aus unseren Reihen und geht darauf zu.

Er beugt sich hinunter –

und hält ein Uhrwerk in seinen Händen.

 

Und da fängt es uns ein.

Samstag, 22. Januar 2022

Verbindung

 

Auf Grund laufen. In einem See. Bergumstanden. 

Wir tragen Lampen. Ihr Licht führt uns über groben Sand (er schürft an unseren Füßen) –

bis wir auf eine Tür stoßen.

Sie schimmert bläulich und erinnert an die Haut von Fischen.

 

Die Tür gewährt uns Einblick.

Hinter ihr liegt ein Raum.

Er ist in einen Krater gegossen –

es ist eisig darin.

 

Und während wir noch schauen,

wächst uns ein weißer Pelz -

einem Eisfuchs gleich.

 

Wir folgen einem Gang aus schwerem Papier.

Nach langer Wanderung mündet er in eine verschneite Landschaft.

Sie ist aus vielen Schichten gemacht.

Wir bewegen uns dazwischen und treffen auf Zeichen,

die wir nicht zu deuten wissen.

Vielleicht ist es ein altes Alphabet –

und wir warten neben den Zeichen.

 

Dann hören wir einen Ton.

Er kommt von weither und ertönt wieder und wieder.

Irgendwann erinnern wir uns:

Es ist ein Freizeichen aus einer vergangenen Zeit.

Hier klingt es gläserner als damals in den Zimmern.

 

Und vom Grund des Sees versuchen wir Antwort zu geben.

Sonntag, 16. Januar 2022

Spiegelmeer

 

Schon seit Tagen bleiben die Gezeiten aus.

Wir warten auf Basaltsäulen über dem Meer

und sprechen Silben in den Wind.

Sie bleiben unerhört.

 

Auf einem anderen Fels beschwört man die Strömung –

sie möge sich zeigen oder etwas mit sich reißen.

Der Wind trägt das fort.

 

Wir gehen an den Rand der Klippe und schauen.

Der Atem des Meeres ist flach.

Wir springen kopfüber hinein,

um es schäumend zu sehen und aufzuwühlen –

ein paar Kreise im Wasser oder eine Welle sogar.

 

Das Meer zieht sich auf den Steg zurück –

und geht an Land.

Dort holt es ferne Sonnen herbei –

und steckt sie an.

Sie scheinen Tag und Nacht.

 

Bald schon wird alles ganz krustig und weiß sein.

 

Nichts als Salz.