Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Montag, 29. August 2022

Singvögel

 

Das Reich der Pflanzen ist jetzt ein Entertainmentprogramm.

Wenn man es betritt,

erhält man ein Armkorsett -

gegen das Pflücken.

 

Der Weg führt dann über eine Schnellstraße.

Sie ist von Monitoren gesäumt.

Darauf sehen wir uns –

inmitten von Wäldern.

 

Wir lächeln.

 

Dann stehen wir vor einer Kastanie.

Dieser Baum schläft.

Das erkennen wir an seiner Rinde.

Vielleicht ist sie echt.

 

Jemand kommt auf uns zu und reicht uns ein Mikrofon.

Wir singen alte Songs,

die von Pflanzen erzählen.

 

Jemand reicht uns ein zweites Mikrofon –

und wir rufen die Namen der Pflanzen in die Wälder hinein,

an denen wir vorhin vorbeigezogen sind.

 

Songs und Rufe verschmelzen zu einem Gedanken.

Und wir essen die Laute dieses Gedankens,

um Vögel zu werden.

Samstag, 27. August 2022

Nachthell

 

Ich lebe in einem Gesicht.

Man hat es mit einem weißen Netz überspannt,

um die Monde fernzuhalten.

Sie sind dann weitergezogen –

bis in die Parks, bis hinter die Fenster dieser Anlagen.

 

Dort ist es jetzt nachthell,

und Körper berühren sich in diesem Licht.

Verschlungen sieht man sie in den Winkeln der Bäume.

Schon wünscht man sich die Parks als ewigen Ort.

Man sagt, die Sinne wohnen hier.

 

Schaut man länger in eine Richtung,

so zeigt sich hinter den Fenstern das Meer.

 

Der Park wird ein anderer Ort.

Ein Entwurf.

Wieder.

Aus dem es über Wendeltreppen noch weit hinausgeht.

Dienstag, 23. August 2022

Kraken

 

 

I

Und wieder spielen wir dieses Spiel.

Oben.

Auf der Brücke.

Jemand ruft das Wort.

Und achtarmig ziehen wir etwas aus der Tiefe empor.

Dort unten ist der Boden schon ganz aufgewühlt.

Es atmet aus ihm.

Und das Echo dieses Atems läuft ruhelos zwischen den beiden Felswänden hin und her, die die Brücke verbindet.

 

II

Wir bewegen uns jetzt rechtwinklig und weben hier alles ein.

Brücke und Landschaft.

Es ist viel Gemähtes darin.

Uns gefällt der Geruch.

Und unsere Zellen atmen neu,

während irgendwo Glas zerspringt.

 

III

Wenig später ziehen wir wieder etwas empor und halten es dann in unseren Armen.

Diesmal ist es wollig und weich – mit einem Gesicht darin.

Ein gewobenes Kind.

 

IV

Mit seinem fadigen Mund formt es jetzt auch das Wort und ruft es laut heraus -

wie wir auf der Brücke.

Wir betrachten es weiter –

bis Sonnenuntergang.

Das Spiel geht zu Ende.

Und die gewobenen Augen des Kindes 

gleichen jetzt Uhren,

die acht Zeiten zeigen.

Sonntag, 21. August 2022

Im Innern

 

Man sagt,

die Mauern hier seien aus Basalt.

Jedenfalls höre ich das immer.

So auch heute.

Und ich gehe die steinige Treppe hinunter zum Fluss.

 

Dort –

zwischen den Brücken –

feiert man wieder einen Kostümball.

Alle sind verkleidet.

Alle sind jetzt Kopfschatten.

Jeder hängt an einer Nabelschnur.

Und während man tanzt,

verwickeln sich die Schnüre ineinander.

 

Die Verbindung wird fester.

Ich wende meinen Blick ab und gehe weiter –

ins Innere der Stadt,

das irgendeinem Bild zum Verwechseln ähnlich sieht.

Aber ich erinnere mich nicht mehr so genau.

 

Ich kann spüren,

dass alles hier aus Marmor ist -

porig und kalt.

Und augenblicklich werde ich heimgesucht von diesem Raum.

 

Plötzlich wird es ganz wolkig.

Und lautlose Fahrzeuge tauchen auf.

Sie scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben.

 

Die Stadt ähnelt jetzt einer Schonung,

die man mit weißen Bändern abgesteckt hat.

Ich denke:

Hier wird man meinen Körper verwahren.

Alle Körper, die man hier finden kann.

Und in meinem klingt jetzt das Echo der Stadt.

Es ist ein Halbsatz,

den ich sofort verstehe:

Vom Verschwinden

lautet er.