Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 27. Dezember 2015

Wind



Die
Falter
tragen
Schriftzeichen.

Und Bilder.

Zum Gewässer.

Hin.

Wo
die Farben
verwischen.

Zu einem
weißen Feld.

Ortung III



Der Wald
ist eine
Denkkammer.

Als ich
hineinging,

war da
ein Schaufenster.

Mit
Wetterphänomenen.

Ich betrachtete
die Brechung
des Lichts.

Und atmete
Schnee.

Und Gischt.

Freitag, 25. Dezember 2015

Peeping



Ich ging den Gang hinunter. Dann hielt ich inne. Die Geräusche kamen aus Nummer 9. Da mir zu klopfen verboten war, beugte ich mich ein wenig hinunter. Und sah durch das Schlüsselloch: In der Mitte des Raums eine Frau. Die auf dem Rücken eines Pferdes stand. In sehr aufrechter Position. Ihre Arme hielt sie ausgestreckt. Auf Schulterhöhe. Und auf beiden Handrücken saß ein Vogel. Ihr Kopf war mit einem dunkelroten Hut bedeckt, aus dem lange Federn ragten. Dann setzte sich das Pferd in Gang. Und zog langsam seine kreisförmige Bahn. Im Raum. Die Frau hielt sich. Und auch die Vögel blieben so. Nach vielen Runden wendete das Pferd. Sein Kopf nun in Richtung Tür. Es setzte an. Und sprang durch das Schlüsselloch. Auf dem Gang sah ich noch kurz die langen Federn der Frau. Dann zog ich weiter, meinen Dienst zu verrichten.    

Briareus



Als ich auf das Meer hinausschaute, klopfte es an meinem Ohr. Dreimal. Recht laut. Herein kam eine Woge. Die mich sogleich weit hinaustrieb. Auf die offene See. Die Woge verebbte allmählich. Und es wurde ruhiger um mich. Ich blickte zurück: Die Küste hinter mir war nur noch ein schmaler Streifen. Und vor mir tat sich ein Felsen auf, auf den ich nun zügig zuschwamm. Als ich näher kam, erkannte ich, dass der Fels ein steiniges Gesicht war. Ich hielt mich daran fest und mein Atem wurde langsam wieder ruhiger. Es tat gut, hier für einen Moment neue Kräfte zu sammeln. Denn schon bald würde ich mich unter Wasser begeben. Ich musste herausfinden, was dieses Gesicht hier hielt und auf welchem Grund es stand. Dann tauchte ich unter. Ich sah ganz klar. Und atmen konnte ich auch. Das Gesicht stand auf einem Gesicht. Das darunter auch. Und das nächste abermals. Ich tauchte und tauchte. Gesichter. Aufeinandergeschichtet. Gesichter. Aufeinandergetürmt. Eine nicht endende Formation. Unzählig. Je tiefer ich kam. Ich fand keinen Grund. Und keinen Anfang. Keinen Ort. Nirgends. Jetzt drängte es mich wieder nach oben. Der Auftrieb war so stark, dass ich mich sogleich wieder an der Wasseroberfläche befand. Und schwamm an Land. Es war bereits dunkel. Und da war ein Lagerfeuer am Strand. Um das Menschen saßen. Ich ging auf sie zu. Im Schein des Feuers blickte ich in ihre Gesichter. Sie waren ganz steinig. Dann erhoben sie sich. Und verschwanden. Im Meer.

Donnerstag, 24. Dezember 2015

Reigen



für D.H.K.
 
Als ich am Tisch Platz nahm, fiel mein Blick sogleich auf das Bild an der Wand gegenüber. Es war ein Kupferstich. Und zeigte Menschen, die auf einer Waldlichtung im Kreis um einen Baum tanzen. Jemand hatte oberhalb des Bildes Federn hinter den Rahmen gesteckt. Schwarz gesprenkelt. Auf olivbraunem Grund. Vielleicht die eines Fasans. Dann hörte ich Laute. Von Vögeln. Und ein leichter Wind ging durch den Raum. Die Menschen um den Baum gerieten in Bewegung. Ihr Tanz wurde schneller. Und schneller. Dann war da nur noch ein dunkler Ring. Und ich schloss die Augen, weil mir schwindelig wurde. Als ich sie wieder öffnete, stand die Gruppe ganz still. Ihre Blicke richteten sich nach oben. In Richtung der Federn. Alle reckten sich. Und öffneten ihre Lippen. Dann fielen die Federn hinab. Direkt in ihre Münder. Jetzt kam die Gastgeberin mit einer Teekanne herein, schenkte uns nach und blickte dann suchend in Richtung Bild. Federn, die in Münder fallen, sang sie leise. Und sah mich versonnen an.