Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Freitag, 29. Juli 2022

Trading Room

 

Ich bin in den Nadelwald gegangen.

Die Bäume stehen hier dicht an dicht.

Und ihre silbernen Spitzen stechen in meine Haut.

 

Da ist auch etwas in meinem Gesicht.

Es flattert. Vielleicht ist es ein Vogel.

Dann spüre ich sein Federkleid,

das mir weich bis auf die Schultern fällt.

 

Getarnt gehe ich weiter.

 

Der Wald reicht hier bis an die Küste.

In der Bucht soll es noch Fische geben.

Sie sind magnetisch (sagt man) und ziehen die Nadeln an.

 

Wenn die Fische in Schwärmen kommen,

ziehen sie Nadelberge ins Meer.

Der Wald ist dann kahl und leer.

Die Fische haben ihn ausgeräumt.

 

Man fährt mit Booten an den Rand der Bucht,

um dabei zuzusehen.

Das Meer ist jetzt ein Gebirge aus hochgetürmten Nadeln.

 

Es wächst.

 

Bis eine Tür sich öffnet.

Dahinter erscheint ein Fasan –

umgeben von Blutbuchen.

Er schaut zu den Gipfeln empor.

Mein 52 Wochen-Hoch, sagt er.

Und dann zupft er mir eine Feder aus.

Dienstag, 26. Juli 2022

Brände

 

1

Die Brände sind immer näher gekommen.

Bis in die Augen.

Noch tobt draußen ein Sturm,

der alles kühlt.

Wenn er sich legt,

brennt es sich ein.

 

2

Wir leben jetzt in Rohbauten.

Unsere Köpfe pulsieren hier.

Die Gebäude bauen sich fortwährend um.

Nie stehen sie still.

 

3

Draußen brennt es.

Tagelang.

Dann regnet es.

Tagelang.

Bis alles strömt.

Zu einer Strömung wird.

 

4

In den Rohbauten schlafen wir jetzt einen weißen Schlaf.

Wir stehen in einem endlosen Schneefeld.

Mitten im Weiß.

Nichts bewegt sich.

Es ist vollkommen still.

Und wir wünschen uns etwas in diese Landschaft hinein.

Einen Stein. Ein Stück Holz. Einen Hasen, vielleicht.

 

5

Jemand sah dort Lavendel.

Man fand ihn an einem Fensterkreuz.

Drei Blocks weiter.

 

Es hat sich eingebrannt.

Bis in die Augen.

Dienstag, 12. Juli 2022

Augenfischen

 

Heute sind es die Augen.

Sie träumen.

Sie träumen sich in die Rinde einer Buche hinein.

 

Hier standen einmal Mühlen.

Sie brachten nummerierte Blätter hervor.

Ihr windiger Gesang liegt noch über der Landschaft.

 

Die Augen sind jetzt im Stamm der Buche.

Sie bewegen sich wie in einem Spindelturm –

immer weiter nach oben.

Dann erreichen sie eine Empore.

Dort ist ein Geweih.

 

Sie sind jetzt im Geweih und sehen hinaus.

Weiter unten sind Streifen von Fell –

und auch ein Ohr.

Damit  horchen sie in die Landschaft hinein –

bis tief in einen Krater.

 

Und von dort ziehen Fäden sie wieder nach oben.

Donnerstag, 7. Juli 2022

Relikte

 

Man lebt jetzt auf Balkonen.

Nachts ruft man sich etwas zu.

Wörter und Sätze.

Daraus wächst eine Erzählung.

 

In den Straßen leben Fische.

Sie sind hungrig und weiß.

Am Rand der Stadt – an der stillgelegten Autobahn –

haben sie unzählige Tanks.

Sie gleichen hohen Zylindern und haben Außentreppen.

Dort halten sie uns gefangen.

 

Langsam häuten wir uns und nehmen eine neue Gestalt an.

Wir sind jetzt ganz zuckrig, körnig fast.

Und wenn wir in den Tanks schwimmen,

hinterlassen wir eine Spur.

 

Die Fische lieben das.

Die Spur schmeckt süß.

Und trägt sie fort.

 

Die Fische träumen sich in eine Landschaft hinein.

Hier war einmal die Stadt.

Die Häuser sind verschwunden.

Was bleibt ---

sind die Balkone.