Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Dienstag, 31. Dezember 2019

Hinter den Augen


Ich bewege mich durch eine Landschaft.

An den Hängen stehen Tiere.

Sie weisen mir die Richtung zum Hafen.

Es ist gut, dass sie da sind – verirre ich mich hier doch sonst immer und verpasse den Abzweig, der zum Hafen führt.

Ich war noch nie dort.

Der Weg hinunter ist aus rechteckigen Steinen gemacht.

Sie federn ein wenig, und es läuft sich leicht auf ihnen.

Die Straßen der Stadt (aus der ich komme) sind anders.

Und ich weiß nicht, wie viele Reisende sich von dort überhaupt zum Hafen aufmachen.

Rechts und links des Weges stehen Schwertlilien.

Sie sind sehr gerade gewachsen - und ich fühle mich beschützt von ihnen.

Vielleicht werde ich einmal jemand sein, der sich auskennt mit diesem Weg -

und darüber auch einige Sätze verliert.

Diese hier könnten leicht salzig sein – salzig und klar – da ich mich auf das Meer zubewege.

Jetzt, wo ich den Hafen sehe, schweige ich. Es ist still in mir. Feierlich still.

Dies ist ein Ort, der alle Bedenken zerstreut. Das Wasser nimmt sie mit – und schon verströmen sie zwischen den Steinen.

Montag, 23. Dezember 2019

Schlaf II


Im Ohr wütet etwas.

Außen leuchtet die Dezembernacht.

Irgendwo legt jemand ein Bekenntnis ab.

Es geht über in einen langen Regen, der währt, bis die Kreuzung erreicht ist.

Dort sind Spuren im Asphalt.

Sie erinnern an Leitungen, die hier einst verliefen.

Jetzt ist alles leer.

Jemand ruft die Zeitansage an – und geht dann hinüber zur Verkehrsinsel.

Betritt man sie, steht man in einer verschneiten Landschaft.

Unsere Gesichter sehen darin ganz kahl aus.

Und wir ziehen uns zurück in das Innere unserer Ohren.

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Spaziergang


Ich atme Libellen in eisiger Luft.

Es ist Nacht.

Und irgendwo müssen hier die Weiher sein, von denen ich hörte.

Ihr Wasser ist salzig, sagt man. Sie sind Vorboten der See.

Hinter mir blinken die roten Lampen der Kühltürme.

Ich gehe weiter.

Um mich tobt jetzt ein Sturm.

Die Libellen sind immer noch da.

Sie halten sich auf der Höhe meines Kopfes.

Mein Gang wird schwerer.

Ich blicke an mir hinunter.

Ich habe Schneefüße.

Sie sind weiß und ein wenig unförmig - und werden mich dennoch bis ans Meer tragen.

Es wird gefroren sein – bis auf den Grund.

Ich werde mich drehen auf ihm – und die Leuchttürme ringsum zu Silos machen.

Es wird ein Summen aus ihnen zu hören sein, nachdem ich an einem stillgelegten Terminal im einstigen Hafen meine Fracht gelöscht habe.

Und bald schon wird sein Echo den Ort erreichen, von wo aus ich aufgebrochen bin.




Samstag, 7. Dezember 2019

Preview


Die Kammer ist weiß.

Und es gibt zahllose Hände in ihr.

Alle weisen nach Norden.

Dort sind die Wälder.

Die Hände sehnen sich nach dieser Landschaft.

Bei Sonnenaufgang werden sie das Fenster der Kammer öffnen.

Sie werden den Park durchqueren und sich mit den ersten Pflanzen vertraut machen – Birken und Farne.

Um diese Zeit ist es noch ganz still hier.

Einige Hände kehren jetzt um und gehen zurück zum Fenster.

Andere ziehen weiter zu den Wäldern.

Und auf ihrem Weg dorthin sind die Augen der Tiere auf sie gerichtet.

Ihr Blick zeigt schon etwas von der kommenden Landschaft,

an deren Rändern Bienen warten,

bis die ersten Hände Zweige ertasten.

Sonntag, 24. November 2019

Transversalebene


Manchertags befragen wir die Bücher –

und kommen belesen durch die Nacht.

Wir zählen dann drei Augen in unseren Gesichtern.

Eines erinnert an einen Kiesel –

und blickt bis in die Steinzeit zurück.

Die beiden anderen gleichen Zierpflanzen.

Die Bücher sagen, es seien Zeitlosengewächse.

In unseren Gesichtern tragen wir sie wie Delikatessen.

Einige sind umrahmt von Holz, andere geschützt hinter Glas.

Schon tagt es.

Die Bücher leeren sich – und auch die Pflanzen ziehen sich zurück.

Wir sind jetzt in einer Wüstenlandschaft.

Darin ein Haus, das wir als Vorboten der Stadt lesen.


Dienstag, 12. November 2019

Skizzenbuch


Vielleicht liebt es mich.



Es pflanzt sich aus –

auf den Böden ringsum,

die auch langsam näher kommen.



Es ruft aus ihnen.

Ich höre das Playback der Umgehungsstraße.

Und wieder sind da Synchronspringer auf den Brücken.



Diese Landschaft ist ohne Wände,

sodass die übliche Melodie sich hier gar nicht halten kann.



In meinen Augen strömt es.

Und in meinem Mund sammele ich die Bitterstoffe,

die die Bilder absondern.



Die Bäume ringsum sind aus Kunstharz.

(ich glaube, meine Hände sind es auch)

Und ihre Wipfel schmückt ein Aquamarin,

der unaufhörlich wächst.



Die Lichter der Stadt wechseln die Seite.

Sie sind jetzt hier, wo sich alles auspflanzt –

und nach Liebe riecht.


Dienstag, 5. November 2019

Bewegung III


Die Nachricht erscheint in gläserner Schrift.

Und man erwidert etwas, das auf ein Kastell verweist.



Ich hatte das Bauwerk längst vergessen –

und es durch eine Kugel ersetzt.



Seitdem es zurück ist, kleide ich mich anders.

In Schiefer gehüllt, stehe ich auf der Aussichtsterrasse –

und rufe Freundschaft ins Tal.

(ein Wort, das ich hier oben in meiner Erinnerung finde)



Es ist, wie es sein wird, wenn ich meine Entwürfe für die kommenden Tage mache.

Ich gärtnere in einer Anlage aus abgelegten Wörtern und Handlungen –

bis ich schließlich mehrere Objekte herausgreife, denen die Luft ringsum Leben einhaucht.

Mittwoch, 23. Oktober 2019

MONO


Du sprichst anders. Deine Zunge ist eigentlich fünfsprachig. Auf unserem Weg ins Tal jedoch kommt dir nur dieses eine Wort über die Lippen: Manchmal.

Mein Ohr schmerzt bereits. Ich wende mich ab. Und nehme den anderen Pfad. Manchmal tönt es auch hier. Manchmal hallt das Echo nach. Manchmal holt es mich ein.

Unten am Bach treffen unsere Wege wieder aufeinander. Du sagst es noch immer. Ich sehe dich an. Dir sind Zähne gewachsen. Du zerkaust alles. Du sprichst anders. Ich sagte es ja.

Und in deinem Mund verschwindet die Welt.

Donnerstag, 17. Oktober 2019

Lesung mit Orla Wolf

Lesung mit Orla Wolf und sechs weiteren Autor*innen im Literaturhaus Berlin


Termin: 23. Oktober 2019, 20 Uhr


Ort: Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23, 10719 Berlin.


Veranstalter: Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS)

Mittwoch, 18. September 2019

Zeitstrom II

Vor dem Fenster wartet die Zeit.
Meistens geht sie dort auf und ab.
Manchmal verschwindet sie auch kurz in der Landschaft -
und kommt dann zurück.

Ihre Haut ist vernarbt und wettergegerbt.

Hier in meinem Turm bin ich sicher vor ihr
(und sie vor mir).
Mich ängstigt der Gedanke, irgendwann nach draußen zu müssen.
Aber der Tag wird kommen, an dem meine Vorräte zur Neige gehen.

Und noch etwas kündigt sich an:
Ich werde nackt sein.
Denn ich bin mit Stunden bekleidet, die sich langsam abnutzen.
Unterdessen zieht die Zeit weiter ihre erdige Bahn -
und trägt sich dabei selbst ab – Schicht um Schicht.

Heute habe ich Stoff in die Fenster gehängt.
Vielleicht kann ich so die Blicke der Zeit abhalten -
und mich auf den Leitern im Turm frei und unbeobachtet bewegen.

Aber schon strömt sie bis an die untere Sprosse.

Donnerstag, 12. September 2019

Auf der Allee

Ich bin jetzt zahm.
Die Vögel füttern mich.
Sie geben mir das, was ich mag.
Und ich gebe Zeichen,
von denen ich nicht weiß, ob sie verstanden werden.

Um mich herum ist alles nackt (so jedenfalls scheint es von hier).
Das, was von Zeit zu Zeit an mir vorbei galoppiert,
hat weder Fell noch Haar.
Seine Haut ist glatt und hell.
Und jetzt bemerke ich, dass sie durchsichtig ist.
Ich kann die Knochen dieses Körpers sehen.
Sie sind ganz verwinkelt angeordnet.

Es scheint mehrere Routen zu geben,
für die das Tier unterschiedlich viel Zeit benötigt.
Oder es ist der wechselnde Wind,
der es mal schneller, mal langsamer an mir vorbeiziehen lässt.

Während es seine Runden läuft, schlafe ich.
Aber seine Hufe wecken mich jedes Mal,
wenn es wieder auf meiner Höhe ist.

Unter mir ist es sandig.
Und ich sinke ein wenig ein, wenn ich mich bewege.

An zwei Stellen ringsum hat man Leitern angebracht.
Mein Blick wandert die Sprossen empor.
Aber mich ängstigt der Farn,
den ich dort oben vermute.
Und mit seinem Widerhall kleide ich meine Augen aus.

Dienstag, 10. September 2019

Stadtauswärts

Ich tauche in Silber.
Dann stoße ich auf etwas.
Es könnte die Grenze sein,
von der man mir erzählt hat.

Dahinter liegt etwas Verwildertes.

Sobald ich es betrete,
wird es in meine Augen wachsen.
Und alles wird weiß sein.

Der Wald reist dann -
in nordwestliche Richtung.
Und seine Innenwelt fragt nach etwas Blühendem.
Die Antwort klingt einsilbig.

Und ich erwache (noch während ich antworte) -
und mische mich unter die Vögel.

Freitag, 6. September 2019

Gewitter

Die Stadt schläft.
Und auf den Feldern ringsum weckt man die Zeichen.

Der Weg dort hinaus führt über verwüstetes Kopfsteinpflaster.
Von irgendwoher kommt ein Flüstern.

Es ist flüssig.

Vielleicht sind es die Gedanken der Stadt, denke ich.
Sie sickern durch die Naht -
dort, wo man die Metropole mit dem Land vernäht hat.

Schon sehne ich einen Saum herbei,
mit dem dieses Denken seinen Abschluss findet.

Ich warte.
Der Saum bleibt aus.
Aber etwas verdichtet sich.
Und die Luft hier riecht jetzt nach Fieber.

Montag, 26. August 2019

Verbindung IV

Ich bin umgeben von einem gläsernen Wald.
Und man spricht zu mir.
Der Verlauf wird aufgezeichnet.
In ihn gewährt man mir Einsicht -
inmitten von Durchsicht, ringsum.

Ich habe Sätze gesehen,
die man an Bäume hing.
Sie erloschen.
Und ich verlor mein Haar.

Über mir ist das Sternbild der Lilie.
Es ist immer da.
Aber es welkt ein wenig.
Da ist niemand,
der es wässern könnte.
Und ich möchte dies nicht in meine Routinen aufnehmen.

Stattdessen lese ich Spuren.
Sie führen mich in den Hochwald,
der hier bis ans Meer reicht.

Dort sind meine Augen.

Dienstag, 20. August 2019

Straße

Ich bewege mich auf freiem Gelände
und atme die Schärfe des Windes.
Dies ist ein Raum, dessen Grenze ich nicht kenne.
Ich ahne sie nicht einmal.

Mit meinen Händen hebe ich das Erdreich aus -
und schaffe mir Gänge weit unter der Oberfläche.
Es ist ganz still hier.
Ein Gang führt mich in ein Tal.
Hier gibt es Geräusche.
Sie gehen von etwas aus, das sonst sehr schweigsam ist -
und ich suche nach dem Zentrum, dem Ausgangsort.

Ich muss in sein Magnetfeld geraten sein,
denn etwas zieht mich an.
Ich folge dem Sog – ich gehe nicht dagegen an.

Dann ist da etwas.
Es sind Trümmer, nacktes Gestein -
ein Berg, eine Wand daraus.
Und ich weiß, dass ich dort hindurch muss,
um zum Ausgang zu gelangen.

Auf meinem Weg dorthin begleiten mich Insektenaugen.
Aus dem Gestein heraus sehen sie mich an.
Und ich fühle mich beschützt durch ihre Blicke.

Dann beginnt es zu regnen.
Die Tropfen sind Augen – größere jetzt.
Und mit ihren Bewegungen weisen sie mir die Richtung -
zum südwestlichen Tor.

Donnerstag, 15. August 2019

Code

Ich weiß nicht, was nach dem Moos kommt.
Etwas Süßliches vielleicht.
Etwas, das sich rau anfühlt.

Der Pfad führt mich in eine Trockenzeit.
Nach einer Weile schuppt sich meine Haut.
Und ich betrete als Reptil den Saal,
in den der Weg mündet.

Hier umgeben mich glänzende Ströme.
Sie sind an den Wänden zu sehen.

Meine Haut löst sich.
Jetzt stehe ich nackt in der Mitte des Raums.
Nur um Hals und Hände trage ich etwas.
Es sind Zeichenketten.
Sie entstammen den Vögeln (das sagen sie selbst) -
und sind von Gehäusen umschlossen (jedes einzelne für sich).

Die Zeichen verbinden sich mit den Strömen an den Wänden.
(von dort aus verbreiten sie sich schnell)
Schon sind sie außerhalb des Saals -
und vertrauen sich ihrer Umgebung an.

Von hier finden sie Zugang zur Straße.

Dienstag, 13. August 2019

Neusprech

Der Blick ging von den Bäumen aus.
Silbrig standen sie da.
Um ihre Stämme rankten sich geflochtene Bänder.

Ich ging zurück zum Studio -
und hielt mich dabei dicht am Boden.
Der Wind war jetzt sehr stark.

Man nannte diesen Ort Tropischer Mund.
Der Name gefiel mir.
Und ich machte ihn zum Passwort für alle Logins.

Begann die Sitzung, sprach ich Es mundet in den Raum.

Mundet wird zum geflügelten Wort (später sogar ein Label) -
und ich zeichne eine Nachtsonne dazu, auf die es sich zubewegen kann.

Wieder gehe ich zu den Bäumen und nehme Witterung auf.
Noch ist hier nichts.
Aber an der Naht des Waldes läuft schon etwas auf und ab.
Und ich werde mein Netz danach auswerfen.

Donnerstag, 8. August 2019

Meme

Plötzlich waren die Türme da.
Ich sah sie, während ich am Rand der Stadt wartete.
Ihre Bässe erreichten mich sogar hier.
Man hatte mich angewiesen, sie hinter mir zu lassen -
und mich so weit hinaus zu bewegen, bis ich sie nicht mehr hören konnte.
Aber sie folgten mir, kamen immer wieder in mein Ohr und schlugen dort weiter.

Etwas blieb also.

Ich war mir nicht sicher, ob ich schon an der Schnittstelle war, von der man mir erzählt hatte – denn auf dem Übergang von Stadt zu Land sollte ich selbst eine Schnittstelle werden.

Jetzt bin ich hier.
Das ist der Anfang.

In diesem Moment fährt eine Karosse vor.
Ich steige ein, und die Fahrt beginnt.
Der Weg führt durch eine gemusterte Bergwelt.
In ihr liegt etwas verborgen – so die Erzählung.
Je länger ich fahre, desto körniger wird die Landschaft.
Dann hält der Wagen, und ich steige aus.
Der Plan sieht vor, dass ich mich jetzt verirre.
Schon tauchen Schwäne auf.
Und ich analysiere das Wasser.

Mittwoch, 31. Juli 2019

U-Topos (Unmöglicher Ort)

Die Strömung ist in den Bildern.
Ich vermute ein Gewölbe, das sie durchzieht.
Es reicht bis an den Rand der Wälder.
Dort (auf der Lichtung stehend) betrachtet jemand die Ringe des Saturn.
Auch am Himmel strömt es jetzt.

Man kommt auf den Alleen zusammen (sie befinden sich auf der anderen Seite)
und besieht das schwebende Zeichen.
Die Strömung wird stärker.
Das spüren hier alle (auf beiden Seiten) -
und wenden sich der Schrift zu, die auf den Wänden der Häuser erscheint.

Dies ist eine Kulisse, sagt man sich -
den Auftakt ahnend, für den sie steht.
Dahinter (im Kern des Bildes der Kern der Stadt) prägt man schon Münzen in diesem Zeichen.

Donnerstag, 25. Juli 2019

Nachtwärts


Ich habe die Kerzen befragt.
Sie sind Intarsien des Lichts,
das dieses Zimmer ausleuchtet.

Der Raum ist das Projekt.
Er ist eine Welt aus Möglichkeiten -
begrenzt durch seine Außenwände.

Heute trägt er Gefieder -
und gibt vor, das Kaufhaus Magnet zu sein.

Sein Boden ist mit Mosaiken geschmückt -
und an den Wänden ranken Warenketten.
Sie sind zum Niederknien -
und ich versinke in etwas wie Kontemplation,
aus der ich noch vor der Nacht wieder herausfinde.

Die Tür öffnet automatisch.
Und ich trete hinaus in einen Garten aus durchsichtigen Fundstücken.