Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Montag, 29. Oktober 2018

Remote-controlled (ferngesteuert)


Ich stehe auf einem Gerüst.
Unter mir sind neununddreißig Etagen.
Mein Blick geht nach oben.
Dort ist der Nachthimmel.
Einige Himmelskörper leuchten.
Ich verbinde sie zum Sternbild der Fledermaus,
das ich dann lange küsse.

Im Gebäude wird es hell.
Man hat Licht gemacht.
Im Innern leuchtet es weiß –
und ich kann hineinsehen.

Das Licht ist jetzt ein Sturm.
Er tobt um Sessel, Tische und Schränke –
schließlich durch den ganzen Bau.
(vierzig Tage lang)

Alles löst sich.
Dann wird es ruhig.

Und im Innern wird eine Tapetentür sichtbar.
Ich gehe darauf zu und öffne sie.
Der Gang dahinter ist sehr lang –
und mündet in einen Birkenhain.

Ich sehe an mir hinunter:
Ich trage ein Gewand, das bis zum Boden reicht.
Auf meiner Zunge sehe ich Zeichen.
Sie sind farbig –
und schmecken süß, salzig, scharf und bitter.
Es gibt auch Kombinationen aus diesen.

Die Zeichen lösen sich von meiner Zunge
und fallen in meine Pupille.
Über das Gerüst klettere ich hinein in sie –
und tauche dann weiter bis zum Grund.

Hier unten ist etwas.

Es sind einhundertvier Farben,
die jetzt langsam hervortreten.

Dienstag, 23. Oktober 2018

Passage (3)


Die Straße grenzt an den Park.
Sein Brunnen liegt direkt hinter mir.
Ich bleibe stehen –
und blicke auf den Waschbeton eines mehrgeschossigen Hauses.
Seine grauschlierigen Wände bewegen sich.
Und etwas tritt daraus hervor.
Es sind Glühbirnen und Tierschädel.

Dann taucht etwas auf vor mir,
das mich sogleich umschließt.
Ich bin jetzt hinter Glas.
Etwas passiert mich hier.
Und ich betrachte gebannt meine Arme und Beine:
Mir ist ein Pelz gewachsen.

Und da ist eine Verbindung zwischen meinen Ohren und Händen.

Ich höre etwas.
Es ist unter der Straße und wächst dort.
Ich grabe danach, um es freizulegen.
Es sind Bäume.
Und durch einen Schacht gelange ich weiter nach unten.

Der Wald setzt sich hier fort.
Es riecht nach Moos.
Und ich sehe auch Farn.
Ich scheitele ihn.
Und in diesem Spalt stoße ich auf das Treibgut meiner eigenen Gedanken –
das ich länger betrachte, bevor ich wieder in meine Pupille zurückkehre.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Weiße Zone (2)


Da ist etwas in meinem Ohr.
Ich vernehme ein gleichmäßiges Wehen –
das jetzt in ein Rieseln übergeht.

Es wird wieder der Schnee sein.

Er versetzt mein Trommelfell in Schwingungen.
Seine Membran wird glänzend und perlmuttfarben bleiben –
auch wenn etwas Weißes sie wieder berührt.

Ich denke:
Mein Innenohr ist eine Fertigungshalle des Winters.
Ich denke weiter:
Oder eine Teststrecke des Wassers für eine andere Zustandsform.  
Ich stelle eine These auf:
Es gelingt dem Winter hier (in meinem Innenohr),
hinter seine eigenen Bilder zu flüchten.

Ich hole einen Taschenatlas hervor,
um mich ihm aus einer anderen Richtung zu nähern.
Mich zieht es in die Hochgebirge.
Beim Blättern betrachte ich die weißen Frisuren des Himalaya,
der Rocky Mountains und der Hochsavoyen.
Ich sehe Aufgetürmtes, Gestuftes und auch Rundgestutztes.

Mein Blick geht hinaus in den Garten.
Dort entspinnt sich etwas Weißes zwischen den Weiden und der Turmuhr.
(auf dem Platz gegenüber)
Es werden immer mehr Fäden.
Sie bewegen sich, wachsen an zu dichtem Gestöber.

Und schon spielt dort oben im Turm der Schnee mit der Zeit.

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Hinter den Augen


Der Steg führt weit hinaus in den See.
Er endet dort, wo das Wasser hohlwangig wird –
und weißgesichtig.

Dieses Antlitz ersieht sich einen Körper hinzu.
Es ist der einer Ameise.

Im Schein einer Leuchtschrift
(sie verläuft über dem See und gleicht einem Spruchband)
setzt sich das Körpergesicht in Bewegung.

Die Frequenz ist hoch.

Und es zieht schnell vorbei  an den Wasservögeln –
zu einem Spiegel hin,
der sich in der Mitte des Sees befindet.

Darin betrachtet es ein Gesicht aus Chitin –
mit Mundwerkzeugen, Antennen und Stirnaugen,
aus denen es mich zugeneigt anschaut.