Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Montag, 29. Juni 2020

Public Shelter


Die Hochhäuser werden Wellenbrecher sein.
Irgendwo. Irgendwann.

Jetzt verlaufen Fluchtwege dazwischen.
Sie führen alle zum Tor unten am Kanal.

Es ist grün.
Und unsere Hoffnung ist, dass es geschlossen bleibt.

Aber wir fliehen wieder auf diesen Wegen –
vorbei an beleuchteten Fenstern.
Wir rennen über Holzstufen mit Eisenbeschlägen –
und ich weiß, dass da gleich das Tor ist.

Sie sind schon da.

Sie kommen von allen Seiten.
Ihre Elektroroller sind vollkommen lautlos.

Silent.
Silence encourages the tormentor, never the tormented.

Sie umkreisen uns mit Blicken, sie umgarnen uns und werfen ihre Netze aus.
Sie sind eine Einheit aus Crew, Operator und Effektgeräten.

Ihr Soundsystem trifft uns.

Dann ziehen sie sich zurück.
Sie sammeln sich an der Südseite –
dort, wo sich der Wind fängt.

Wir kehren zurück in unsere Häuser.
Unser Atem ist flach.
Wir kommen nicht zur Ruhe in unseren Zimmern.

Und aus den Lüftungsschächten strömen bis zum Abend die Aromen einer unbekannten Pflanze.

Freitag, 19. Juni 2020

Kunstlicht


Vom Wasserturm aus lese ich die Äste rückwärts.
Sie kleiden sich in Rotbuchen.
Und ich sehe,
wie sich auf ihren Blättern etwas abzeichnet:

Zunächst sind da Gräser, dann ein Wald, ein Pfad –
schließlich ein Sendemast, der ganz frei steht.

Jemand läuft über die Lichtung.

Und nach dem Schnittmuster der Sonne
entsteht diese Fotografie.

Montag, 15. Juni 2020

In neuen Städten


Wir tauchen in Lärm und fangen unsere Nahrung
(wundersame Tiere) auf den Dächern der Container.

Unten greifen Wurzeln um sich.

Und legen uns Bahnen ins Gesicht –
geschwungene Linien, 
die uns später einmal an nächtliche Landschaften erinnern werden.

Wir leben in der Augenzeit –
umgeben von oxidierten Zeichen.

Unsere Augen berechnen alles.

So auch die Zellkerne der Blätter,
auf denen Futurum steht.

Mittwoch, 10. Juni 2020

Plakatabriss


Vielleicht stand hier (auf dieser gespachtelten Fläche) einmal Täuschung.
Und während man noch schaut (im Schatten der Zypressen), stößt die Fläche Laute aus, die an Vögel erinnern.
Es spielt sich leicht vor dieser Wand, die sich seit jeher tarnt und Maske ihrer selbst ist (wie sie selbst behauptet).
Jetzt sind reißende Geräusche zu hören – und dann das Kratzen von Fingernägeln auf der Wand. 
Etwas löst sich.
Es sind unzählige Zellen des papiernen Großformats, die jetzt verstreut auf dem Boden liegen.
Die Fläche wölbt sich.
Vielleicht stößt sie etwas ab – alle Zeichen und Bilder.
Etwas bleibt.
Es könnte Sand sein, in dem man später einmal Spuren einer Geschichte findet.