Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Montag, 21. Juni 2021

Signum

Ich stehe in einer Halle aus Waschbeton

(es könnte ein Kraftwerk sein)

und sehe mir großformatige Bilder an.

Sie wimmeln.

Überall sind Vögel, Wildkatzen und üppige Pflanzen.

Ich schaue weiter.

Und entdecke dann auch Menschen -

vereinzelt und gut getarnt.

 

Plötzlich werden die Bilder weiß.

Ich schließe die Augen.

Und schon strömt alles in meine Ohren –

die ganze Halle.

 

Ich höre, was ich sah.

 

Dann kommt ein Sturm auf.

Ich spüre ihn zuerst in meinem Haar,

das sich jetzt teilt – in zwei Geschichten:

In der einen geht ein Rauschen (wie Wind in Bäumen) von meinem Gesicht aus und weckt mich.

 

Die Bilder sind wieder da.

 

Und in der anderen bekennen sich meine Augen dazu.

Samstag, 19. Juni 2021

Pflanzenreich

Die Nebelbänke am Stadtrand sind jetzt sandig.

Und man hört von Drachenbäumen (anderswo) -

bestäubt von Staub, den der Wind weiterträgt.

 

Bald ist alles von ockergelber Farbe.

 

Geht man in den Kern der Stadt

(dorthin, wo einst die Pestsäule stand),

blickt man in ein geteertes Gesicht mit alten Narben.

 

Die Straße bergan führt zum Aussichtspunkt.

Von hier sah man früher Wasserstraßen -

darauf beladene Kähne mit Kurs auf den Hafen.

 

Die Kanäle sind versiegelt.

Ihr Geheimnis schläft unter dem Asphalt,

auf dessen Oberfläche man heute mit elektrischen Booten spielt.

 

Und weiter oben am Himmel zeigt sich jetzt

(zwischen den Blüten der Wolken)

ein Hohlraum von unbekanntem Ausmaß.

Mittwoch, 16. Juni 2021

Zeitschaltuhr

Im Fenster der Stadt die rubinroten Fahrzeuge

Ein Strom aus Lichtern

Für programmierte sechzig Minuten

 

Diese eine Stunde grenzt an ein Wunder,

das irgendwo da draußen liegt

Es entgrenzt diese Stunde

Uns jedenfalls erscheint es so

 

Wir fahren los

Siedlungen, Fabriken, eine Seenkette

Wir fahren weiter –

weit über die Grenze hinaus –

in eine abnehmende Landschaft hinein

Ringsum jetzt Sand und Geröll

 

Noch dreißig Minuten

 

Wir halten an und steigen aus

Musik umgibt uns – die Quelle getarnt

Wir stehen dicht beieinander und sehen uns um

 

Es gibt noch etwas:

 

Einen Teleprompter, auf den wir jetzt zugehen

Wir tanzen

Und sprechen den Text, der da läuft, in die leere Landschaft hinein:

 

Unsere Körper sind Ideen dieser Juninacht, die man in fünfzehn Minuten abschalten wird.

Sonntag, 13. Juni 2021

Entertainment

Der Abend war –

entgegen aller Vorhersagen –

sonnig.

 

Und in Erwartung des Regens küssten wir Monde,

bis ein Gewitter aufzog –

und unsere Haut zersplitterte.

 

Morgen strahlt man die nächste Folge aus.

Darin warten wir wieder auf Regen –

und essen (ganz frisch bezogen) Gletschereis.

Schlaf _ open source

(1)

Es ist die Stunde der Briefe.

Und die Felder ringsum leuchten jetzt,

sodass ich alles lesen kann.

 

16. April:

Im gegenüberliegenden Haus trägt man jetzt Leitungen am ganzen Körper,

um schön zu sein.

 

(2)

Von den Klippen aus entkräften wir die Sandbänke und schwimmen dann weiter zum Wurzelwerk unserer Erinnerung.

Freitag, 11. Juni 2021

Second Floor

Nachts halte ich mich jetzt weiter oben auf.

Über Treppen und durch Schächte bewege ich mich durchs Haus.

In den Räumen schalte ich die Bildschirme ein.

Die Zimmer sehen überall gleich aus.

Und sogar der Flor des Teppichs hat eine durchgängige Länge.

Ich messe. Alles.

Auch die Schlitze der Jalousien und das Dekor auf weißem Tellergrund.

Irgendwann werde ich ruhiger.

Ich setze mich.

Auf einem der Bildschirme sehe ich mir die Nachrichten an.

Es geht immer um diese Behausung.

Ich notiere mir alles.

Es gibt eine Kernbotschaft:

Dieses Haus isst sich selbst.

Aber wo beginnt der Fraß?

Schon laufe ich nach unten –

ohne zu wissen, ob das die richtige Richtung ist.

Mittwoch, 2. Juni 2021

Monochromes Bild

Von hier oben sehe ich,

wie jemand durch die karge Landschaft geht.

Bei jedem Schritt staubt es.

 

Gelb.

 

Der Boden muss sehr trocken sein.

Leblos (denke ich).

 

Der dort geht, trägt Kopfhörer und eine Kamera.

Vielleicht ein Dokumentarfilmer (denke ich).

 

Der Staub besetzt sein Haar.

Und auch seine Kleidung ist schon ganz gelb geworden.

 

Wie mein Gefieder hier oben im Baum.