Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Samstag, 28. Mai 2022

Entwurf einer Landschaft

 

I

An den Rändern der Strecke stehen gelb gekleidete Figuren.

Sie bewegen sich nicht –

bis auf die Augen.

Das Rot darin erinnert an einen Planeten.

Betrachtet man ihre Schuhe,

so haftet roter Staub daran.

 

II

Jemand stellt ein Wort in den Raum.

Es lautet Geheimnis.

Geht man auf die Rückseite der Figuren,

betritt man eine andere Landschaft.

 

III

Hier sind Kabel zu sehen,

denen wir folgen.

Plötzlich machen wir Geräusche,

die wir nicht kennen.

Und wenige Schritte weiter stehen wir vor Panzerglas.

 

IV

Wir schauen hindurch –

und sehen uns selbst auf das Glas zukommen.

Dann fällt der Ton aus.

Als er zurückkommt, summen wir einstimmig –

und fliehen auf das Dach eines hohen Hauses.

 

V

Wir sehen hinunter.

In dieser Gegend stürmt es.

Überall sind versprengte Tiere und Pflanzen.

Hier oben ist es ruhiger.

Uns zieht es weiter in südliche Richtung.

 

Der Weg ist jetzt ein Seil,

das uns aufs offene Meer führt.

 

Heute staubt es rot.

Freitag, 20. Mai 2022

Radio Panama

 

Auf den breiten Alleen schichtet man den Sand und schwimmt darin.

Die Bewegungen klingen wie rohe Gebete.

 

An diesem Abend sehen wir zum ersten Mal den Polarstern über der Stadt.

Die äußeren Bezirke zerfransen und werden zu Landzungen, an denen das Meer nagt.

 

Irgendwann zerspringt die Stadt.

Die wenigen Schiffe sind übervoll und sinken noch im Hafen.

Einige von uns haben sich auf die Türme gerettet.

 

Dann erscheinen an einem klaren Tag zwei Wörter über dem Wasser –

in einer unbekannten Sprache.

 

Jemand liest sie als Dornige Röte und ruft es von einem Turm in die zerstörte Stadt hinein.

 

Zum Meer hin öffnen sich jetzt Türen.

Und dahinter sitzt ein Moderator,

der das Wetter kommentiert.

Mittwoch, 18. Mai 2022

Cinema Paradiso

 

Wir verlassen diese Landschaft,

und unsere Augen blühen.

Es ist sonnig.

Und man trauert uns nach.

Auch die Pflanzen,

an denen wir vorbeiziehen.

 

Schließlich erreichen wir die Sandbänke.

Unsere Köpfe zieren jetzt Kiemen.

Und auf unseren Rücken wachsen Flossen.

 

Wir gehen auf das Meer zu und öffnen ein Fenster.

Es riecht hier nach Kreide und Kunststoff.

 

Und direkt am Strand spielt eine Jukebox einen Song,

den wir kennen.

 

Es ist der Soundtrack zu diesem Film.

Dienstag, 17. Mai 2022

Im Zeitwald

 

Wir sind in den Blutbuchen unterwegs.

Auf ihren Ästen sitzen Eulen.

Sie sehen uns an.

 

In ihren Blicken liegt Zweifel.

Wir sind heute ganz ungeschminkt.

Vielleicht halten sie uns deshalb wieder

für tosendes Wasser.

 

Über den Buchen erscheinen jetzt Monde.

Die Eulen greifen danach –

und verstecken sie dann in ihrem Gefieder.

 

Zur gleichen Zeit sucht jemand an einem anderen Ort etwas inmitten hölzerner Geräte 

 

und wird auch fündig.

Es ist ein gefalteter Steg,

der sich langsam zeigt –

und immer weitreichender wird.

 

Nach mehreren Stunden erreicht er die Blutbuchen.

Die Eulen verkünden die elfte Stunde,

die sich sogleich als Uhr über den Wald spannt.

Wenig später liegt er im Schatten der Zeiger.

 

Sie weisen nach Norden.

 

Und irgendwo dort muss der Eingang sein,

durch den wir die Zeit betreten haben.