Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 20. Februar 2022

Mind Game

 

Wir gehen langsam darauf zu.

Gleich kommt die Grenze.

Sie ist aus metallischen Zäunen und einem Tor gemacht.

Es ist geschlossen.

Dahinter liegt die Gedankenzone.

 

Wir warten jetzt auf dem Randstreifen

und holen das Papier hervor.

Für uns ist es weiß.

 

Als sich das Tor dann öffnet,

liegt dahinter ein bewölkter Himmel.

Ich weiß nicht, was die Anderen sehen.

Für jeden von uns gibt es ja jetzt einen eigenen Gedanken.

Und so zerfallen wir.

 

Plötzlich kommt ein Sturm auf und treibt mich landeinwärts.

In einiger Entfernung taucht ein Gebäude auf.

Es trägt einen Schriftzug.

Ich gehe näher heran –

und lese Sammlung.

 

Auf dem Vorplatz befragt man mich.

Ich soll drei Wörter nennen –

und sage Hibiskus, Tenor und Mondfahrt.

Die Sammlung wächst jetzt,

höre ich.

 

Ich setze mich auf eine Bank,

die wie ein Wabe aussieht.

Sogar meinen Kopf kann ich anlehnen.

Ein süßlicher Geruch umgibt mich,

der mich an etwas erinnert.

 

Als ich aufstehe,

bin ich irgendwo in einer weißblühenden Pflanze.

In der Ferne sehe ich die Uhren jenseits der Grenze.

Ihre Zeiger stehen still.

Aber irgendetwas spielt dort.

Es ist laut. Und tief.

Vielleicht sind es die Bässe eines fortziehenden Landes.

Dienstag, 15. Februar 2022

Fließende Landschaft

 

Am Fluss begegnete mir jemand,

dessen Gesicht ganz verästelt war.  

Er stand reglos zwischen zwei Bäumen,

als plötzlich der Fluss die Böschung hinaufkam und die Füße des Mannes verbarg.

Dann zog sich das Wasser zurück -

und ich sah,

wie es unten im Fluss wieder seinen eigenen Grund berührte.   

 

Ein Vogel setzte sich in das verästelte Gesicht des Mannes,

dessen Mund jetzt leise vor sich hinsprach.

Es klang wie Fahrt .

Und ich trat noch näher heran.

 

Jetzt sah ich,

dass der Mann Schneeschuhe trug.

Sie waren aus gebogenem Holz gemacht und mit Leder bespannt.

Und das,

was ich für sein Haar gehalten hatte,

waren zwei Schneehasen.

 

Ich sah auf die Uhr.

Bald ging die Fähre.

Ich trat den Rückweg an.

Und als ich den Mann dabei streifte,

flockte er aus.

Donnerstag, 10. Februar 2022

In den Tiefen der Fenster

 

In den Tiefen der Fenster könnten Kastanien sein.

Ich warte auf die Lichter,

die mir das zeigen werden.

Sie leuchten zu jeder vollen Stunde.

Bis dahin ist noch Zeit,

und ich gehe weiter.

 

Am Stadtrand löscht man neue Brände.

Tiere ziehen an mir vorbei.

Man hat ihnen Idyll  ins Fell tätowiert –

und ihnen dieses Wort auch unter die Zunge gelegt.

 

Sie sprechen es nicht aus -

nur ihre Namen.

 

Dann entdecke ich einen Teleprompter.

Die Tiere folgen ihm –

bis ins Innere der Stadt.

An einer Kreuzung lese ich den Satz.

Und ich sage ihn laut in die Straßen:

In den Tiefen der Fenster könnten Kastanien sein.

 

Wir stehen jetzt unter beleuchteten Fenstern.

Es ist genau null Uhr.

Und aus den Tiefen der Fenster taucht etwas auf.

Montag, 7. Februar 2022

Monochromer Park

 

Alle Gänge führen auf den weitläufigen Platz.

Dort sitzt man auf steinernen Bänken und betrachtet Wasserspiele.

 

Die Pflanzen ringsum sind weiß.

Alles hier ist weiß – sogar Wasser und Himmel.

Auch der Gesang der Zikaden tönt in dieser Farbe.

Und in einem Studio unweit des Platzes spielt man ein weißes Album ein.

 

Folgt man dann später der Musik,

die sich dicht über dem Asphalt bewegt,

so kommt man zu einem gläsernen Aufzug.

Öffnet man ihn,

betritt man ein Aquarium mit weißen Fischen,

deren Formen sogleich jeder annimmt.

 

Die Fahrt geht seitwärts -

bis die weiße, schon bekannte Melodie ertönt –

und alles in die Münder der Fische fließt.