Ich dachte, das sei ein Interview. Aber hier
ist niemand, der mir Fragen stellt. Stattdessen spreche ich einfach. Ohne
Gerüst. Und ohne Anhaltspunkte. Da ist nichts, was meiner Erinnerung fragend eine
bestimmte Richtung gibt. Aber man hat mich gebeten, über die Spiegel zu
sprechen. Die Spiegel in meinem Haus. Die alles auskleiden. Jeden Raum. Die
Decke. Die Wände. Den Boden. Meine Möbel sind Spiegel. Meine Kleider. Meine
Schuhe. Meine Haustiere (ein Hund und zwei Katzen). Die Bücher. Und dann der
Vogel. Der Vogel, durch den letztendlich alles aufbrach. Dieser spiegelnde
Sittich, der sich erhob vom Dach seines Spiegelkäfigs. Und gegen die Decke
flog. Die verspiegelte Decke des Raums. Da löste sich etwas. Zunächst war es Staub.
Spiegelstaub. Ganz glitzernd. Der im Licht langsam zu Boden fiel. Und dann war
es eine ganze Platte, eine Fliese, eine Spiegelfliese, die von dort oben
herabfiel. Es war sehr laut. Die Haustiere (der Hund und die beiden Katzen)
kamen sogleich angelaufen. Und sie fraßen die Spiegelstücke. Ich konnte sie nicht
davon abhalten. Sie waren gierig. Bissen hinein. Und schluckten alles hinunter.
Und als ich mich an die Stelle stellte, wo es herausgebrochen war, blickte ich
in etwas, das ich nicht kannte (heute weiß ich, dass es der offene Himmel war).
Ich kannte es nicht. Denn ich bewegte mich ja in Spiegeln. In unendlichen
Reflexionen dessen, was mich umgab. Hier im Haus. Und so stand ich auch mir
selbst hundertfach gegenüber. Das war viel. Manchmal zu viel. Dann setzte ich
mich. Und schloss die Augen. Und da auch meine Augen aus Spiegeln gemacht sind,
warf ich etwas hinein. In mich. Einen Blick. Und er kam gleich zurück. Zu mir.
Und ich warf ihn wieder hinein. In mich. Und so ging es. So ging es weiter. An
den Stellen in mir, wo meine eigenen Sichtachsen verliefen und meine Blicke
auftrafen (immer wieder), waren die Spiegel schon ein wenig blind geworden. Das
sah ich nicht. Das sah ich erst später. Als ich die Spiegel aus mir
herausgeholte. Mit meinen Händen. Ich hatte mir die Finger zerschnitten. Daran.
Aber da kam kein Blut. Stattdessen eine silbrige, glänzende Masse. Dickflüssig.
Und wo sie hintropfte, bildete sich sogleich ein neuer Spiegel. Und als ich auf
den Spiegel sah, fiel mein Blick in den Spiegel hinein. Und er verlor sich
dort. Ich musste ihn wieder hinausziehen. Und an diesem Blick hing sehr viel.
Montag, 31. Oktober 2016
Im Netz
In ein Netz geraten. Durch seine Maschen
schlüpfen. Auf seinen Strängen gehen. Senkrecht. Und waagerecht. Und diagonal.
Sich an einer Schnur abseilen. Und auf das offene Meer zugehen. In der Flut
stehen. Die Ebbe abwarten. Bis alles wieder zurückgeht. Und es trockener wird. Später
das Treibgut befühlen. Eine Planke nehmen. Und mit dem Fingernagel etwas in das
Holz ritzen. Das Wort nicht lesen können. Und rätseln. Was dort geschrieben steht.
Die Planke wieder ins Meer werfen. Sich auf eine Düne setzen. Und Ausschau
halten. Ein Schiff sehen (es kommt näher). Das Wort sehen. Am Bug. Es ist das von
der Planke. Ein Signal geben. Das Schiff zieht vorüber. Ans Ufer gehen. Ein Netz
sehen. Den Fang sehen. Der Fang sein. Im Netz.
Sonntag, 30. Oktober 2016
Nester
Es ist naheliegend (zu sagen): Das Nest ist im
Haar. Ich will nichts vereinfachen. Aber es stimmt. Ich habe ein Nest. Im Haar.
Es ist jedoch nicht so, dass irgendwer oder irgendwas Material in mein Haar
gebracht hätte. Um es da zu verbauen. Zu einem Nest. Das Nest ist aus meinem
eigenen Haar gemacht. Aber das war nicht ich. Ich habe es nicht gemacht. Es hat
die Form wie eines, das ich von Vögeln kenne. Aber es ist noch kein Vogel
aufgetaucht. Und auch im Nest selbst noch nichts in Erscheinung getreten. Von
daher weiß ich immer noch nicht, wer das Nest baute. Und auch nicht, was darin
nistet. Oder nisten wird. Ich bin versucht zu sagen, dass sich auch an anderer
Stelle (in den Winkeln und Ecken meines Hauses) jetzt Nester zeigen. Oder in
den Haaren anderer Menschen. Aber das stimmt nicht. Das zu behaupten, wäre nur
ein Ablenkungsmanöver. Stattdessen sind da Nester in meinen elektrischen
Geräten: Im Fön. Im Kühlschrank. Im Bildschirm. Meines Computers. Und auch im Telefon.
Ich habe einen altmodischen Apparat. Mit einer Wählscheibe. Und das Nest hat genau
den Durchmesser dieser Wählscheibe. Sodass sie vollständig bedeckt ist. Und ich
nicht mehr wählen kann. Keine Nummer. Stattdessen hat das Nest seine Wahl
getroffen. Und eine Nummer gewählt. Wann --- weiß ich nicht. Welche --- weiß
ich nicht. Aber es spricht. Seither. Ich habe mich mit einem Glas Tee vor das
offene Feuer gesetzt. Vor meinen Kamin. Im Wohnzimmer. Ganz in der Nähe (auf
einem Beistelltisch) steht das Telefon. Und da ich es jetzt auch aus dem
Kühlschrank, dem Fön, dem Bildschirm sprechen höre, vermute ich, dass es dort
eine Verbindung gibt. Zwischen den Nestern. Und auch in meinem Nest aus Haar klingelt
es jetzt. Jemand nimmt ab. Und etwas wird durchgestellt. Es ist ein Satz. Den
ich höre. Es ist ein Satz. Der immer wieder kommt. Aus allen Nestern. Und ich verstehe.
Man sagt: Die Brut sei ich.
Samstag, 29. Oktober 2016
Raum
Heute raunt es. Im Raum. Später räumt man den
Raum. Ich vermute seine Räumung. Weil ich sehe, dass man Kartons herausträgt. Und
so, wie man die Kartons trägt, scheint etwas darin zu sein. Obwohl sich dies nicht
mit meiner Erinnerung deckt. Denn immer, wenn ich den Raum betrat, war er leer.
Aber vielleicht habe ich etwas übersehen. Darin. Vielleicht habe ich Vieles
übersehen. Darin. Denn das Heraustragen der Kartons zieht sich jetzt schon über
Stunden hin. Und es ist nicht nur eine Person, die sie trägt. Ich werde später,
wenn die ganze Räumung hier abgeschlossen ist, einen Blick in den Raum werfen. Ich
möchte wissen, wie er dann aussieht. Und ob er sich verändert hat. Ich könnte dem
Vehikel, das die Kartons abtransportiert, folgen. Um zu schauen, wo man all das
hinbringt. Und dort einen Blick in die Kartons werfen. Und so mache ich es:
Noch in der Nacht setze ich mich in meinen Wagen. Und folge dem Kartonvehikel. Bis
an den Stadtrand. Dort hält es. Vor einer Lagerhalle. Und die Kartons werden im
Innern auf Paletten gestapelt. Ich verstecke mich in einem Winkel. Und warte,
bis die Türen wieder geschlossen werden. Bis es wieder ruhig ist. Und ich das
Vehikel abfahren höre. Dann schalte ich das Licht ein. Und gehe zu den Kartons.
Ich öffne drei. Hintereinander. In jedem Karton befindet sich ein Raum. Und ich
sehe Menschen, die sich in diesen Räumen bewegen. Es ist ein Raum. Es ist immer
derselbe Raum. Aber er ist ganz unterschiedlich ausgestattet. Es sind verschiedene
Jahre. Jahrzehnte. Epochen. Der Stil und das Design: Alles ändert sich. Von
Karton zu Karton. Auch die Kleidung der Menschen. Ihre Frisuren. Ihre Art zu
sprechen. Ich öffne mehr Kartons. Sehe in die Räume. Und in zweien sehe ich
auch mich. Einmal gestern. Als ich dort war. Und das Raunen hörte. Und dann an einem
Abend im Sommer. Es war eine große Gesellschaft. Und wir tanzten. Jetzt entdecke
ich die Person, auf die ich in jener Nacht vergeblich gewartet hatte. Sie war
also doch da. Versteckt. In einem Winkel des Raums. Und dann gehe ich. Auf sie
zu.
Mittwoch, 26. Oktober 2016
Mittagsstille
Ich frage mich, warum es diese Zeit ist.
Genau diese Zeit. Zu der ich nichts höre. Die Stille kommt. Von 1 bis 3. Jeden
Tag. Das ist deshalb so ungewöhnlich, weil ich mich mitten in der Stadt
befinde. In einer Großstadt. An einem zentralen Platz. Wenn ich zwischen 1 und 3
aus dem Fenster schaue (so wie jetzt), sehe ich den Verkehr. Das gewohnte Bild
einer Kreuzung: Autos, Busse, Menschen, Fahrradfahrer, Motorräder. Aber wenn
ich das Fenster öffne oder zu dieser Zeit auf die Straße gehe, ist es still. Völlig
still. Als würde ich durch eine Kulisse gehen. Auch scheinen mir die Abläufe um
mich herum verzögert zu sein. Die Menschen bewegen sich langsamer. Die Autos auch.
Ich weiß nicht, wie es ausschaut, wenn man mich jetzt anschaut. Ich weiß nicht,
ob ich auch anders gehe. Die Menschen, die mir entgegenkommen, bewegen ihre
Münder. Aber ich höre kein Wort. Das ist die Mittagsstille. Zwischen 1 und 3. Und
ich habe auch schon überlegt, jemanden darauf anzusprechen. Vielleicht einen
Passanten. Ob auch er diese Stille wahrnimmt. Möglicherweise hört er mich aber
gar nicht. Diese Gedanken kommen mir auch nur zwischen 1 und 3 (also jetzt). Ich
glaube, nach 3 habe ich die Stille wieder vergessen. Sie wird ausgelöscht sein.
Ich kann mir eine Notiz machen (so wie jetzt). Zwischen 1 und 3. Ich kann mir
eine Notiz machen, dass ich mir eine Notiz gemacht habe. Und sie mir in meine
Jackentasche stecken (so wie jetzt). Oder in mein Portemonnaie. Aber vielleicht
habe ich das schon gemacht: Als ich gestern in die Jacke griff (gegen Abend),
war da ein leeres Blatt. Es stand nichts darauf. Was mir noch auffällt:
Gespräche und Telefonate, die ich in der Zeit von 1 bis 3 führe (ich werde welche
führen, weil ich das in meinen anderen Arbeitsstunden auch tue). Sie scheinen
nicht stattgefunden zu haben. Mir fehlt die Erinnerung. Und auch von außen
kommt nichts, was mich daran anknüpfen ließe. Irgendetwas werde ich aber tun.
In dieser Zeit. Irgendetwas. Zwischen 1 und 3.
Montag, 24. Oktober 2016
Nachtlampe
Ich möchte mich nicht umsehen. Ich möchte
auch nicht sprechen. Weil mein Hals kratzt. Und trocken ist. Und meine Zunge
sich anfühlt wie ein lahmes Stück Fleisch. Das träge in meinem Mund liegt. Aber
jetzt bewegt sie sich doch. Weil ich dieses Stichwort bekommen habe. Es gilt,
etwas über die Nachtlampe zu sagen. Und ich wundere mich über dieses Wort. Und
überlege. Einfacher wäre es, über eine Nachttischlampe zu sprechen. Aber das
gilt nicht. Es gilt das Wort. Das Wort, das ich auf einem Zettel vorfand. Das
Wort, das ich aus einem Kasten herausnahm (wie aus einer Losbox). Also ist es
die Nachtlampe. Ich sagte bereits, dass ich mich eigentlich nicht umsehen
möchte. In diesem Raum. Oder was auch immer mich hier umgeben mag. Deshalb wäre
es nur konsequent, die Nachtlampe erst gar nicht einzuschalten. Um hier nichts
zu erhellen. Oder ins Licht zu setzen. Aber vielleicht ist es anders.
Vielleicht muss ich die Nachtlampe erst gar nicht einschalten. Denn sie brennt bereits.
Die Nacht brennt. Sie lodert. Und züngelt. Und knistert. Sie steht in Flammen.
Und wird verzehrt. Das Feuer frisst die Nacht. Und was bleibt, ist ein dünnes
(jetzt schwarzes) Pergament. Wie ein Tunnel. Das ist die Nachthülle. Es ist die
Nachthülle. Und ich nehme sie mit. Und umgebe mich mit ihr. Fortan. Was auch
immer sie sein mag. Was auch immer ich sein mag. Darin.
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