Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Mittwoch, 27. Juli 2016

Grammophon



Ich erinnere mich gar nicht mehr genau, wie das Gerät zu mir kam. Es begleitet mich jetzt schon seit so vielen Jahren. Jahrzehnten sogar. Irgendwann kamen auch die Platten hinzu. Sie waren einfach da. In meinem Haus. Ich konnte sie nur an den Farben ihrer Etiketten unterscheiden. Es gab keine Schrift darauf. Ich rechnete damit, beim Abspielen Musik zu hören. Stattdessen vernahm ich Stimmen. Da redeten Menschen von einem blauen Haus. Mit quadratischen Fenstern. Und auf dem Platz vor dem Haus gab es eine Statue. Daneben zwei Bänke. Auf denen Menschen saßen. Zwei links. Einer rechts. Und die Person, die allein auf der Bank saß, schaute hoch. Zu dem blauen Haus. Mit den quadratischen Fenstern. Und das tat sie wohl jeden Tag. Dieser Mensch, der vor dem Haus saß und schaute, wusste aber nicht, dass es hinter dem Haus noch etwas gab. Etwas ganz Anderes. Denn hinter dem Haus lag immer Schnee. Und in dem Schnee stand ein Pferd. Und auch dieses Pferd schaute in die Fenster. Von der anderen Seite des Gebäudes. Die beiden Menschen auf der anderen Bank überlegten nun, ob der Mann und das Pferd wohl voneinander wussten. Das taten sie jeden Tag. Sie saßen dort. Und dachten. Genau dieses. Und jetzt sprang die Platte. Was die Platten grundsätzlich taten. Sie sprangen an der entscheidenden Stelle. So gaben die Platten mir Rätsel auf. Auch verhielt es sich mit Platten so, dass sie bei jedem Abspielen eine andere Geschichte erzählten. Es war jedes Mal ein neues Stück. So ging es beim nächsten Hören der Platte jetzt um einen Mann, der vor seinem Schuppen Paddel fand. Und diese Paddel waren ineinander verkeilt. Und verwuchsen dann miteinander. Der Mann konnte sie nicht mehr voneinander lösen. Den Kanuten auf dem angrenzenden Fluss kamen regelmäßig ihre Paddel abhanden. Als gäbe es einen Magneten. Am Schuppen. Des Mannes. Wo sie sich dann verfingen. Ich überlegte, was es mit den Paddeln und der Anziehungskraft, die vom Schuppen ausging, auf sich hatte. Und vermutete einen Magnetismus der Hölzer. Das Grammophon und seine Geschichten wurden mehr und mehr meine Welt. In der ich mich am liebsten aufhielt. Und deren Geschichten ich lauschte. Genau wie dieser hier. Gestern.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.