Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Mittwoch, 31. August 2016

UNSCHAERFE (anagrammatische Sicht)



SACHEN RUFE
SACHEN FUER
SACHEN UFER

ACHSEN RUFE
ACHSEN FUER
ACHSEN UFER

ASCHEN RUFE
ASCHEN FUER
ASCHEN FREU

RAUCHE SENF

SACHE UFERN
SACHE RUFEN

ASCHE UFERN
ASCHE RUFEN

ACHSE UFERN
ACHSE RUFEN

SCHAUE FERN

NACH FEUERS

SENFE RAUCH

SCHAU FERNE


AUCH FERNES

Dienstag, 30. August 2016

Telefonie



Ich saß auf der Terrasse eines Cafés und las. Als ich aufsah, stand ein Mann an dem öffentlichen Münztelefon, das sich vor dem Café befand. In seiner khakifarbenen Arbeitshose und Weste hielt ich ihn für einen Techniker. Er hatte seine Tasche auf dem Boden abgestellt. Jetzt bückte er sich. Und nahm etwas heraus. Es war eine Lupe. Handtellergroß. Mit einem langen Stiel. Er nahm seine Brille ab. Und untersuchte mit der Lupe das Münztelefon. Zuerst den Einwurfschlitz. Dann das Display. Schließlich den Tastenwahlblock. Er holte ein Notizbuch hervor und schrieb etwas auf. Nach einer kurzen Pause setzte er seine Untersuchung fort und nahm den Telefonhörer näher in Augenschein. Dann das Panzerkabel. Um sich abschließend länger mit dem Münzrückgabefach zu beschäftigen. Er erinnerte mich an einen Forscher, der in freier Natur mit seiner Lupe Blüten und Insekten betrachtete. Er machte sich weitere Notizen. Dann verstaute er das Buch und die Lupe in seiner Tasche. Und setzte die Brille wieder auf. Er sah nachdenklich aus, als er auf die Terrasse kam und sich bei einigen Gästen nach den Kosten eines Ortsgesprächs erkundigte. Die Besucher zuckten mit den Schultern oder winkten gleich ab. Er ging ins Café. Und bat darum, ihm einen Schein zu wechseln. Ich hörte das Klimpern der Münzen in seiner Hosentasche, als er wieder hinauskam. Zielstrebig ging er zum Telefon. Dann verlangsamte sich sein Tempo. Er führte jeden Handgriff mit Bedacht aus: Die Tasche abstellen. Den Hörer nehmen. Die Münzen einwerfen. Dann wählte er. Ich sah, dass er die Augen schloss. Mein Telefon klingelte. Ich sah auf das Display. Es wurde keine Nummer angezeigt. Dann klingelten die Telefone an den Nachbartischen. Auch im Café läutete es. Es wurden immer mehr Geräte. Das Läuten und Klingeln kam jetzt auch aus den umliegenden Häusern. Schon war es ohrenbetäubend. Ich stand auf. Und verließ die Terrasse. Ich wohnte drei Straßen weiter. Auf dem Weg zu meiner Wohnung klingelte es hundertfach. Als ich in meine Wohnung kam, läutete auch das Telefon auf meinem Schreibtisch. Ich nahm das Gerät. Und stellte den Ton ab. Seitdem höre ich nichts mehr.  

Sonntag, 28. August 2016

Der Empfang




(1)
Ich ging über den Boulevard. Es war die teuerste Straße der Stadt. Auf dem großzügig angelegten Gehweg, wo ich gerade flanierte, gab es Schaukästen. Sie waren in einem gleichbleibenden Abstand in einer Linie angelegt. Ihre goldene Einfassung und das Licht im Innern erinnerten mich an eine längst vergangene Zeit. In ihnen ließen sich auch heute noch die Auslagen der Geschäfte in Augenschein nehmen. Manchmal auch Kunstwerke. Ich blickte gerade auf meine Armbanduhr, als hinter einem Kasten jemand hervortrat. Und sich mir in den Weg stellte. Der Mann trug einen schwarzen Anzug. Und wirkte sehr gepflegt. Er entschuldigte sich auch sogleich für sein Auftreten. Dann wies er auf das Coupole, ein Restaurant, vor dem wir jetzt standen. Er sah mich an. „Jemand wartet dort auf Sie.“ Ich zögerte einen Moment. Dann folgte ich ihm.

(2)
Mein Begleiter öffnete die Tür. Ich trat ein. Und stand in einem Aufzug. Er drückte einen Knopf, wünschte mir einen guten Abend und die Aufzugtür schloss sich. Das Restaurant lag im Erdgeschoss. Und so hatte ich keine Idee, wohin mich dieser Aufzug jetzt brachte. Die Fahrt erschien mir sehr lang. Ich beobachtete die Zahlen auf dem Display. Gerade hatte ich die 50. Etage passiert. Als die 80 aufleuchtete, wurde ich unruhig. Kein Gebäude dieser Stadt hatte nur annähernd so viele Etagen. Dann hielt der Aufzug. Der 104. Stock. Die Tür öffnete sich. Ich trat hinaus. Und befand mich unter einer gigantischen Kuppel. Die Ränder der Kuppel lagen in weiter Ferne. Ich konnte sie nur schemenhaft erkennen – bewegte mich aber langsam darauf zu. Dann sah ich, dass die Kuppel die Stadt überspannte. Wie ein Schirm. Es war ein durchsichtiger Schirm. Jedoch nicht aus Glas. Auch nicht aus Plastik. Ich fragte mich, was es war.

(3)
A:           „Eine zellfreie Schicht. Mesogloea genannt. Sie ist gallertartig. Und besteht zu 99 % aus Wasser. Deshalb ist die Kuppel durchsichtig. Und wir können diesen grandiosen Blick über die Stadt genießen.“
B:           „Sie haben den Körperbau der Quallen imitiert und so die Kuppel 
               gebaut?“
A:           „Ja, genau so. Sie sind übrigens der erste Gast, der den Bezug zu den Quallen herstellt. Aber wir haben Sie ja nicht ohne Grund hier hoch gebeten.“  

(4) 
Der Mann, mit dem ich sprach, glich dem Mann von unten. Ich war mir aber nicht sicher. Wenn er es war, hatte ich keine schlüssige Antwort, wie er so schnell in den 104. Stock kommen konnte. Vielleicht gab es noch einen zweiten Aufzug. Oder er war irgendwie sonst hier hochgestürzt. Vor mir stand jetzt ein gedeckter Tisch. Auf ihm befand sich eine Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Ein Glas. Messer und Gabel. Eine Serviette. Und ein Teller. Ich nahm Platz. Das Gericht bestand aus fünf Kartoffeln, einigen grünen Bohnen und einem Balken, der etwa die Größe eines Knäckebrots hatte.  

(5)
A:           „Lassen Sie es sich schmecken.“
B:           „Danke.“
A:           „Sie zögern? Sie fragen sich, was das für ein Balken ist?“
B:           (lacht) „Ja, das frage ich mich. Ein ungewöhnlicher Hauptgang für das 
                Coupole.“
A:         „Das ist ein Energyriegel. Der hilft, um hier wieder hochzustürzen. Wir haben Sie übrigens eine ganze Weile begleitet. Und erforscht. Dort unten. (weist in Richtung Stadt) Und dann sind wir zu einem Ergebnis gekommen: (feierlich) Wir möchten Ihnen anbieten, sich hier hinunterzustürzen.“

(6)
Ich aß die Kartoffeln. Die Bohnen. Den Energyriegel. Und dann sprang ich.

Samstag, 27. August 2016

Eine Geschichte tanzen



Man bat mich, eine Geschichte zu tanzen. Ich zögerte, da ich mich mit Tanz nicht auskannte. Dann stellte ich mich in die Mitte des Raums und begann zunächst, langsam rückwärts zu laufen. Als nächstes nahm ich Anlauf nach vorn. Und drehte mich. Fünfmal. Um meine eigene Achse. Zweimal links herum. Und dreimal rechts herum. Dann gerieten die Wände in mein Blickfeld. Und ich lief auf die Wände zu. Und an ihnen hoch. Ich brauchte drei Versuche, um die Decke zu erreichen. Und als ich oben angekommen war und die Decke mit meinen Händen berührte, fand ich Halt. Und hing dort. Eine Weile. Dann begann ich zu pendeln. Schließlich rutschte ich wieder ganz langsam die Wand hinunter. Es fühlte sich an wie über Eis zu gleiten. Wieder am Boden angekommen, stampfte ich mehrmals mit den Füßen auf. Dann kreiste ich mit meinen Armen. Ich nahm die Hände dazu. Auch sie kreisten jetzt. Und dann ließ ich mich einfach fallen. Mehrmals. Mehrmals ließ ich mich auf den Boden fallen. Mit meinem ganzen Gewicht. Das war angenehm. Denn der Boden hatte etwas Federndes. Und so war es für mich eine schöne Bewegung. Ich lachte. Dann stand ich wieder ganz aufrecht. Und mein Tanz glich nun dem eines Eiskunstläufers. Ich drehte Pirouetten. Schließlich fing ich an, mit meinem ganzen Körper Geräusche zu machen. Mit der Zunge. Den Zähnen. Mit meinen Händen. Den Fingern. Mit meiner Nase. Den Füßen. Mit meinen Lippen. Und meinem Gedärm. Dazu lief ich Formationen, die sternförmig immer von der Mitte des Raums auf die Wände zugingen. Und schließlich näherte ich mich wieder der Mitte des Raums. Und blieb dort stehen. Weil der Tanz hier sein Ende fand. Man klatschte. Und erhob sich. Wie denn die Geschichte hieße, fragte man mich. Die strauchelnde Wonne, entgegnete ich.