Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 30. September 2018

Gedanken


Das Bauwerk, in dessen Mitte ich stehe,
spricht eine verwaschene Sprache.
Ich atme sie ein, um sie in mir wirken zu lassen.
Vielleicht dient es der Verständigung.

Meine Pupillen gleichen hier Monden.
(an den Wänden sind überall Spiegel)
Und meine Wimpern sind Fenster,
aus denen ich schaue.

Dieser Ort ist einsam.
(er erinnert mich an den Rand eines Waldes)
Ich denke hier wie unter Schnee –
und sehne mich nach dem Duft von Doldengewächsen.

Mein Denken greift jetzt um sich.
(in konzentrischen Kreisen)
Es enthüllt Fließbänder, die sich – verborgen in anderer Gestalt –
in diesem Raum befinden.
Auf den Bändern sehe ich zahllose Zifferblätter (bedeckt von Glas)
an mir vorbeiziehen.
Sie erinnern mich an gefrorene Weiher,
die sich einige Täler weiter in der Nähe des Schlosses befinden.

Die Fahrt dorthin gestaltet sich festlich.
(es gibt Lampions am Wegesrand – zudem Musik)
Alles gleicht einem Spiel, das ich von irgendwoher kenne.
An den Weihern gelange ich durch das Eis in einen inneren Mechanismus.
Das gleichmäßige Ticken, das ich hier vernehme, beruhigt mich.
Und so werde ich fortan in den Uhren schlafen.

Samstag, 29. September 2018

Variationen im Fels


Ich vermisse etwas.
Und so gehe ich wieder in die Tropfsteinhöhle –
und setze mich hinter den Vorhang.
Dort betrachte ich die Maserung des Bodens.
Der Untergrund besteht aus zahllosen Mündern,
die sich langsam öffnen und wieder schließen.
Und auch die einzelnen Korridore, die durch das Gestein verlaufen,
sind aus diesem Gewebe gemacht.

Ich schätze die unterschiedlichen Spielarten der Felsen dieses Gebirges.
Sie lassen mich immer wieder zurückkehren.
Gestern habe ich an einer Steilwand die Haut des Mondes geküsst,
die ein Datum trug (das ich sogleich vergaß).

An der Decke regt sich jetzt etwas:
Ich sehe ein Muster – und ich trinke aus ihm wie aus einem Brunnen.
Es schmeckt nach Gewitter – das bald aufziehen wird.
Meine Hände sind währenddessen schon bei den Vögeln,
die sich langsam aus dem Gestein lösen.
In den seltenen Zwischenräumen, die sich jetzt zeigen, wohnt die Zeit.
(sagen die Vögel)
Und man bereitet mir hier ein Mahl für die Augen.
(so die Vögel)

Oben im Fels ist ein Turm. Auf seiner Plattform stehen zwei Synchronspringer.
Sie sind in gefrorene Pelze gehüllt.
Und während sie von dort oben zeitgleich durch den Spiegel des Bodens springen, öffnen sich vor mir Türen im Fels.

Draußen ist jetzt Winter – und ab hier alles wieder lesbar für mich.

Donnerstag, 27. September 2018

Kulisse (2)


Ich suche etwas.
Ich suche etwas in einzelnen Bewegungen.
Das ist neu.

In den Wäldern bemerke ich heute eine Strömung,  
die von Blättern und Ästen ausgeht.
So bilden sich Schneisen für meinen Blick,
der jetzt einzelne Tiere erreicht.

Mich interessiert, wie sich ihre Lippen bewegen,
(weniger, von was sie sprechen) –
und ihre Münder könnten Türen sein,
die mich in Nächte führen.

Es sind unterschiedliche Spielarten der Nacht, die ich betrete –
jede spricht ihre eigene Sprache.
In einer höre ich mich über Schnee laufen –
mit doppeltem Klang.

In einer anderen bin ich ein Wald, der in sich verweilt –
vertieft in ein Zwiegespräch mit sich selbst.
So sitze ich als Lorbeer im Lorbeer –
und betrachte die knorrigen Stämme ringsum.
Sie erinnern mich an geträumte Gesichter,
die ich in anderen Nächten sah.

Auch diese Münder bewegen sich.
Und ich sehe, dass sich etwas kreuzt in ihnen:
Stille und eine Zeitansage.

Es ist jetzt fünf Uhr.
Und mit langsamen Bewegungen gehe ich auf die Zeit zu.
Auch sie bewegt sich.
Vielleicht flieht sie. Vielleicht hält sie stand.