Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 2. April 2017

Zwischenwald



Diese Gebiete sind sehr weitläufig. Und ähneln sich. Es sind symmetrische Flächen. Planquadraten gleich. Die ganz eben sind. Und baumbestanden. Die einzige Variation zwischen den Flächen besteht darin, dass sich Nadelwald und Laubwald abwechseln. Von Quadrat zu Quadrat. Ich habe einzelne Bereiche schon genauer untersucht. Die Bäume stehen in Reihen. Man hat Zahlen und Buchstaben angebracht. Wie auf einem Schachbrett. Und es gibt Ähnlichkeiten. Und Gleichzeitigkeiten. Bei den Flächen. Wenn neben Baum b7 rechts vom Stamm eine Rotkappe wächst, so ist dies bei allen anderen von mir untersuchten Quadraten auf der Position b7 auch der Fall. So verhält es sich auch mit Moosen. Nestern. Und Zeichen. In der Rinde. Das Gebiet hier liegt weit abseits der Städte. Ich hatte noch keine Begegnung. Mit einem Menschen. Und frage mich, wo sich die Arbeiter aufhalten. Die all dies hier bewirtschaften. Den gesamten Bestand. Und sich um das Zählen und Kartografieren der Bäume kümmern. Heute gehe ich in ein Teilgebiet im Nordwesten. Es ist eine Tageswanderung von hier entfernt. Dort bin ich noch nicht gewesen. Auf meiner Karte ist eine Hütte eingezeichnet. In der ich übernachten werde. Gegen Abend erreiche ich mein Ziel. Und ich finde alles, was ich brauche. Für die Nacht. Ich habe Proviant dabei. Und hier gibt es Decken. Einige Töpfe. Geschirr. Und das Wasser ist von guter Qualität. Da ich sehr erschöpft bin von meiner Wanderung, schlafe ich früh ein. Auf meiner Karte ist das Gebiet, das ich morgen aufsuchen werde, durch eine Schraffur hervorgehoben. Und wird als Terra incognita bezeichnet. Was mich sehr interessiert. Und reizt. Das ist der Grund meines Hierseins. So breche ich auf. Früh schon. In ebendiese Richtung. Irgendwann gelange ich an ein Schild. Ich lese: Interforest - Zwischenwald. Und tatsächlich scheint direkt dahinter etwas Neues zu beginnen. Es ist weder ein Nadelwald – noch sehe ich Laubbäume. Stattdessen sind dort zahlreiche Felsen. Die etwas größer sind als ich. Sie sind aus keinem gewöhnlichen Stein. Denn sie funkeln. In allen Farben. Und so nehme ich an, dass sie aus Kristall sind. Dieses Funkeln wird noch verstärkt durch Wasser. Bäche. Die sich um die Kristallfelsen schlängeln. Schon treibt eine hölzerne Barke auf mich zu. Und ich gleite hinein. Die Fahrt verläuft sehr gemächlich. Und führt mich um zahllose Kristallfelsen herum. Mir gefällt das Licht. In dieser Landschaft. Das beständig ein wenig läutet. Und so gleicht das Licht hier einem Glockenspiel. Das ganz sanft tönt. An meinem Ohr. Auch die Luft ist angenehm. Sehr klar. Und sie riecht leicht. Nach Kirschen. Irgendwann hält die Barke. An einem Steg. Und im Hintergrund sehe ich ein Haus. Es gleicht einem Herrenhaus. Eingebettet in eine waldige Landschaft. Und ich gehe darauf zu. Auf der Veranda sehe ich eine gedeckte Tafel. Ich weiß, dass dies für mich bestimmt ist. Und man auf mich gewartet hat (wie man es immer tat – und fortan immer tun wird). Dennoch sehe ich keine Menschen. Und auch in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten und Jahren  speise ich allein. Im Zwischenwald.     

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