Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Mittwoch, 19. April 2017

Spur



Ich gehe täglich. In den Wald. Ich mag es, Fährten zu lesen. Die Wege hier eignen sich, dies zu tun. Sie sind eben. Und leicht sandig. Sodass sich alles gut abzeichnet. Darauf. Ich muss in diesem Wald die Zeit besonders im Blick behalten. Wenn ich ihn absuche. Nach Fährten. Denn hier im Wald herrschen die Gezeiten. Ich habe mir einen Plan erstellt. Für Ebbe. Und Flut. Er hängt an einer Wand. In meinem Haus. Sodass ich mich orientieren kann. Jetzt (um 12.48 Uhr) ist Ebbe. Auf den Wegen. Im Wald. Ich bin zeitig losgegangen. Um die Wege so vorzufinden, wie ich sie brauche. Für meine Suche: Frei. Begehbar. Und bereit, Eindrücke aufzunehmen. Auf sandigem Grund. Heute folge ich der Spur eines Zweibeiners. Es sind Abdrücke, die ich nicht kenne. Der Form nach erinnern sie mich an einen Vogel. Aber ich folge der Spur nun schon seit fast einer Stunde. So wird es kein Vogel sein. Der derart ausdauernd auf den Wegen geht. Vielleicht ist es ein Säugetier. Das heute eine neue Gangart wählte. Um mit versetzten Füßen vorzugeben, etwas ganz Anderes zu sein. Plötzlich endet die Spur. An einem Unterstand. Vor dem ich jetzt stehe. Ich sehe mich um. Aber hier ist nichts. Kein Wesen. Ich setze mich. Auf eine Bank. Denn meine Füße schmerzen. In diesen Stiefeln. Ich ziehe sie aus. Und blicke auf Füße, die mich an die eines Vogels erinnern. Dann höre ich das Tosen. Der Wellen. Das steigende Wasser. Die Flut. Ich bin heute sehr weit in den Wald gegangen. Viel weiter als sonst. Auf meiner Spurensuche. Und ich habe währenddessen die Gezeiten vergessen. Schon berührt das Wasser meine Füße. Die auf sandigem Boden stehen. Noch finden sie Halt. Meine Vogelfüße. Doch dann klettere ich schnell. Auf das Dach. Des Unterstands. Und fliege hinauf. In den Wipfel. Der Tanne.

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