Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 29. Januar 2017

keimen

Die Oberflächen veränderten sich. Zuerst erschien mir der Spiegel anders. Und als ich mit meinem Finger über ihn strich, spürte ich es: Da waren feine Erhebungen. Kleine Punkte.  Sie fühlten sich weich an. Und folgten dem Strich meines Fingers. Ich konnte die Punkte auf dem Spiegel fühlen. Sehen jedoch nicht. Ähnliches geschah mit meinem Arbeitstisch. Mit Türen. Die ich öffnete. Oder schloss. Dann mit den Scheiben in der U-Bahn. Überall waren diese Erhebungen. Und als ich in der Bahn wie beiläufig die Scheibe berührte, war mir, als wäre da etwas. Unter den Punkten. Etwas, das unter Spannung stand. Und sich nach oben drückte. Und als ich wenig später das Bürogebäude betrat und im Aufzug stand, sah ich es. Jetzt sah ich es. Die Innenflächen des Aufzugs begannen zu keimen. Was sich dort zeigte, hatte die Farbe und Beschaffenheit des Aufzugmaterials. Es wuchs. Es kam heraus. Und entfaltete sich. Allmählich begann ich zu verstehen, was dies bedeutete: Die Räume würden sich schließen. Da von allen Seiten, den Decken und Flächen, etwas aufeinander zuwuchs. Sich den Raum nahm. Und ihn besetzte. So stieg ich aus. In der dritten Etage. Und ging die restlichen Stockwerke zu Fuß. Aber auch dort wurde der Gang schon enger. Und als ich die Tür meines Büros öffnete, war alles darin verwachsen. Es war zugewachsen. Und so schloss sich alles. Zimmer. Korridore. Aufzüge. Häuser. Flughäfen. Bahnen. Und Schiffe. Ich verließ die Stadt. Die jetzt eine Wucherung war. Und nach den Innenräumen nun auch die Außenräume befiel. Zwischen den Häusern. Den Gebäuden. Und Fabriken. Auch dort verdichtete sich der Raum. Bis er abgedichtet war. Ich verließ die Stadt. Und es galt, einen anderen Ort zu finden. Ein Ort, der noch freistand. Ich ging. Und ging. Weiter. Und dann wusste ich, dass ich frei stand.

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