Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 9. Oktober 2016

Subplot



Ich habe den Auftrag erhalten, Nebenhandlungen zu konstruieren. Da ich nicht weiß, wer mein Auftraggeber ist, kann ich direkt hier ansetzen. Vielleicht wäre es einfacher, zunächst die Haupthandlung zu entwerfen. Aber möglicherweise sollte ich mich direkt auf Nebenwege, auf etwas abseitigere Pfade begeben: Es gibt einen Bungalow im Wald. Das Besondere an diesem Haus ist, dass es komplett aus Glas ist. So kann man in alle Richtungen hinaussehen. Aber natürlich gewährt es auch Einsicht. Es ist von überall einsehbar. Auch von oben. Und es gab schon Menschen, die wie Käfer über das Dach krochen. Um sich einen Eindruck vom Innern des Gebäudes zu verschaffen. Das Gebäude ist gänzlich leer. Die Person, der das Glasobjekt gehört, wohnt in der Stadt. Und fährt ein, zwei Mal im Monat hinaus. Sie betritt den Bungalow und läuft auf und ab. Über viele Stunden. Dann lehnt sie sich an die Glaswände. Und fährt zurück. Eine andere Person, die in keinem näheren Verhältnis zum Besitzer des Glashauses steht, bemerkt, dass in der Umgebung des Bungalows immer mehr zu Glas wird. Jetzt ist es der Bach. Er fließt. Durch eine gläserne Rinne. Besser gesagt durch ein gläsernes Rohr, das komplett in sich abgeschlossen ist. Des Weiteren gibt es eine gläserne Pappel. Eine Kastanie aus Glas. Und ein Getreidefeld. Mit Roggen. Auch dieses ist aus Glas. In dem Ort, in dem der gläserne Bungalow steht, gibt es eine Frau, die nicht spricht. Man sagt, sie habe in ihrem ganzen Leben noch kein Wort gesagt. Man sagt, sie kommuniziere durch ihre Hände. Und man hat diese Frau gerufen. Zur Kastanie. Zur Pappel. Zum Roggenfeld. Und zum Bach. Sie berührt all das Gläserne. Und dann schreibt sie Zeichen in den Sand. Am Ufer des Baches. Mit ihren gläsernen Fingern. Schreibt sie die Zeichen. Und ihre Zeichen sind Glas.

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