Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Donnerstag, 4. August 2016

Eine Weise der Ortsveränderung



Es war an der Zeit, mich an einen neuen Ort zu begeben. Ich kannte dieses Gefühl – war ich doch schon oft umgezogen. Dem voraus ging stets ein schleichender Prozess. Den ich zunächst gar nicht wahrnahm. Irgendwann stand dann die Gewissheit im Raum: Nicht mehr am richtigen Ort zu sein. Und damit ging auch der Entschluss einher: Ich ziehe weiter. Von Umzug zu Umzug hatte ich meinen Hausrat verkleinert. So konnte ich die Dinge einfach verstauen und leicht transportieren. Mir gefiel diese Reduktion auf das für mich Wesentliche. Ich hielt das für eine Kunst. Die ich im Laufe der Jahre immer mehr verfeinert hatte. So behielt ich einige Bücher, die mich schon lange begleiteten. Und die ich wieder und wieder las. Und neu las. Und die sich mir jedes Mal anders zeigten. Von anderen Seiten. Ganz wortwörtlich. Als veränderten auch sie sich. Um sich dann wieder neu auszurichten. Sodass ich sie neu entdecken konnte. Und auch mich neu fand. In ihnen. Dann waren da ein paar Kleidungsstücke. Einige Küchenutensilien. Eine Schlafliege. Ein Tisch. Und ein Stuhl. Und zwei kleinere Kisten. In denen ich persönliche Gegenstände verwahrte. Fotografien. Briefe. Notizhefte. Und eine Mineraliensammlung. Ich hatte beschlossen, von der Stadt aufs Land zu ziehen. Die Stadt wurde mir zunehmend zu einem unwirtlichen Ort. Der mich ablenkte. Von mir. Und meiner Arbeit. Und der mich nicht mehr trug. Der neue Ort, an den es mich zog, lag in einer wasserreichen Landschaft mit vielen Seen. Durch das Dorf  floss ein Fluss. Ich hatte gehört, dass es sich hier vortrefflich baden ließe. Und es wurde nachts sehr dunkel. Dort. Es war der dunkelste Ort. Ich werde in einem Sternenpark leben. Und die Milchstraße mit bloßem Auge betrachten können. Auf alten Karten entdeckte ich dann eine unterirdische Verbindung. Zwischen dem alten Ort. Und dem neuen. Dort draußen. Im Norden. Weitab der Stadt. Beide Orte lagen in einer Moränenlandschaft. Unterirdisch verlief ein Tunneltal. Und darin floss ein Strom. Ein Urstrom. Der die Orte verband. Und so kam mir die Idee, diese Verbindung zu nutzen. Ich grub ein Loch. Auf einer Wiese. Mitten in der Stadt. Die Karte zeigte mir, dass hier der Urstrom verlief. Ich hatte die Gegenstände, das, was mit mir umziehen sollte, wasserdicht verpackt. Alles stand neben mir. Auf der Wiese. Gut verschnürt in Planen. Und ich hatte den Bestimmungsort darauf geschrieben. In großen Lettern. Aber ich hatte ihn auch hineingesprochen. In die Pakete. In die Gegenstände. Bevor ich sie verpackte. Sodass ich mir sicher war, dass meine Stimme nachklang. Weiterklang. Das dort ein Echo war. In den Paketen. Und dass sie mit dieser Resonanz ihren Bestimmungsort fanden. So versenkte ich die Pakete. Im Loch. Das ich gegraben hatte. Und machte mich dann selbst auf den Weg. An den neuen Ort. Und tatsächlich: Sie hatten ihren Bestimmungsort erreicht. Und lagen wohlverschnürt und vollzählig am Ufer des Flusses. Ich trug sie in mein neues Zuhause. Und packte sie aus. Sie klangen nach. Und erzählten mir. Von ihrer Reise. Durch den Urstrom. Was sie unterwegs hörten. Und sahen. Und ich schrieb ihre Geschichten auf. Es war jetzt schon spät. Und ich war plötzlich sehr müde. Mein Bett jedoch wollte zurück. In das Bett des Flusses. Ich trug es dorthin. Durch die sternklare Nacht. Und dort schläft es. Seither.

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