Ich
bin Übersetzerin. Ich arbeite zu Hause. Mein Arbeitszimmer liegt im hinteren
Teil meiner Wohnung. Neben dem Schlafzimmer. Letzte Nacht wachte ich auf. Was
sehr selten vorkam. Es war kurz vor zwei. Ich stand auf, ging in die Küche und trank
ein Glas Wasser. Tagsüber war es sehr warm gewesen. So hatte ich am späten
Abend, als ich zu Bett ging, alle Fenster geöffnet. Jetzt stand ich am offenen
Küchenfenster und genoss die kühle Luft. Dann hielt ich inne. Wie still es war.
Kein Laut. Obwohl ich doch mitten in der Stadt wohnte. Ich beließ es dabei, ging
zurück in mein Schlafzimmer und schlief weiter. Ich hatte den Wecker auf halb sieben
gestellt. Ich duschte. Frühstückte dann. Und um halb acht saß ich am
Schreibtisch. Es war Dienstag. Ich ging meine gestrigen Notizen nochmal durch.
Übersetzungen ins Niederländische mochte ich besonders. Dann überflog ich den
ersten Absatz. Aber irgendetwas irritierte mich. Ich schloss die Augen. Wie
ruhig es war. Wie unheimlich ruhig es war. Ich stand auf und ging zu meiner
Wohnungstür. Ich lehnte meine Stirn an die Innenseite Tür. Und lauschte. Ins
Treppenhaus. Wartete. Eine ganze Weile. Nichts geschah. Wo blieb die Nachbarin
aus dem 2. Stock? Die mehrmals am Tag mit ihrem Hund hinunterkam. Ich wartete
auf das Geräusch, das die Pfoten des Hundes auf der Treppe machten. Und mein
Nachbar von gegenüber? Ich konnte doch sonst die Uhr nach ihm stellen. Zehn vor
acht. Und er trug sein Fahrrad durchs Treppenhaus nach unten. Doch da war
niemand. Im Treppenhaus. Es war vollkommen still. Im ganzen Haus. Ich ging ins
Wohnzimmer. Zum Fenster. Und blickte auf die Straßenkreuzung. Sie war leer. Keine
Menschen. Keine Autos. Keine Busse. Nichts. Nichts, was sich bewegte. Da
draußen. Ich suchte nach Lebenszeichen. Irgendetwas
musste es doch geben. Vielleicht in den Bäumen. So ging ich zum Küchenfenster.
Von dort konnte ich in den Vorgarten sehen. Und suchte mit meinen Augen zuerst
die Tanne und dann die beiden Rotbuchen ab. Dann sah ich sie: Eine Amsel. Wenigstens
die Vögel, dachte ich. Das war doch ein gutes Zeichen. Trotzdem blieb dieses seltsame
Gefühl. Ich musste mich umhören. Wie es den Anderen erging. Und wählte die Nummer
einer Freundin. Die Leitung war tot. Ich rief eine andere Nummer an. Ich rief
eine dritte Nummer an. Ich wählte viele Nummern. Dann wählte ich Nummern im
Ausland. Nirgends ein Freizeichen. Alle Leitungen waren tot. Jetzt versuchte
ich es mit einem anderen Telefon. Auch mit ihm kam keine Verbindung zustande. Ich
ging ins Treppenhaus. Und sah, dass die Wohnungstüren meiner Nachbarn angelehnt
waren. Ich öffnete vorsichtig die Tür meines Fahrradnachbarn. Alles leer. Alles
ausgeräumt. Gänzlich. Keine Spur. Von ihm. Ganz im Gegenteil: Nichts deutete
darauf hin, dass hier jemand gelebt hatte. Ich ging weiter umher. Im Haus. Auf
allen Etagen das gleiche Bild: Leere Wohnungen. Ich ging auf die Straße. Wo ja
auch niemand war. Drei Blocks weiter begegnete mir ein Hund. Sein Fell war rötlich.
Und gelockt. Er blieb direkt vor mir stehen. Seine Augen blickten sehr
freundlich. Wir gingen in eine Einkaufsstraße. Die Läden waren geöffnet. Aber
es war niemand darin. Niemand, der einkaufte. Niemand, der verkaufte. Ich nahm,
was ich brauchte. Noch fand ich Gemüse. Und Obst. Bald würde ich auf Konservendosen
umsteigen müssen. Es kam ja kein
Nachschub mehr. Aber die Vorräte würden reichen. Für mich. Und den Hund. Wir hatten
ja die Stadt. Die ganze Stadt. Für uns. Allein. Wir machten lange Streifzüge.
Und erkundeten die Stadt. Die Parks waren groß. Ohne Menschen. Die Museen auch.
Der Hund mochte die Bilder. Besonders die Kubisten. Er setzte sich davor. Und
betrachtete sie lange. Ich konnte ihn dann nur mit einem Ball wieder
hinauslocken. Wir besuchten auch oft einen Tennisclub. Teilten wir doch unsere Liebe
zu den Bällen. Ich trainierte zunächst an einer Trainingswand. Dann fand ich in
einem versteckten Winkel des Clubhauses eine Ballmaschine, die mir die Bälle auf
dem Platz zuspielte. Meine Technik machte sehr gute Fortschritte. Und endlich konnte
ich mir abgewöhnen, die Rückhand beidhändig zu spielen. Der Hund brachte mir freudig
die Bälle zurück. Die ich zwischendurch verschlug. Dann entdeckte ich eine
Laubenkolonie. Und suchte mir zwei Gärten aus. Die ich fortan pflegte. So hatte
ich doch noch Frisches, das ich anbauen und ernten konnte. Die anderen Gärten
verwilderten. Mit der Zeit. Wurde ich krank, musste ich mir selber helfen. Hier
war ja niemand mehr, der mir einen Zahn zog. Oder mir etwas gegen das Fieber gab.
Und ich arbeitete weiter. An meinen Texten. Ich übersetzte. Jetzt sogar in drei
Sprachen. Dann schenkte ich mir die fertigen Texte. Und las mir daraus vor. Eine
gute Beschäftigung für die langen Abende. Im Herbst. Und Winter. Es war mein dritter
Herbst. In der stillen Stadt. Als der
Regen kam. Der Regen war gelb. Es regnete drei Tage. Und drei Nächte. Alles
wurde gelb. Alles war jetzt gelb. Auch ich. Und der Hund. Mit dem ich dann
durch die gelbe Stadt lief. Drei Tage lang. Irgendwann fiel es ab. Von uns. Das
Gelb. Wie Häute. Darunter war etwas gewachsen. Und wir zeigten uns.
Anders.
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