Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Freitag, 5. Mai 2017

Halbhelle Beruhigung



Seit Wochen ist Nacht. Selbst die Uhren zeigen den Tag nicht mehr an. Die Zeit bewegt sich zwischen 23 und 4 Uhr. Sie springt vor. Und zurück. Von 3 auf 4. Und von 2 auf 1. Meine Spaziergänge mache ich im Dunkeln. Meine Besorgungen auch. Es gibt keine festen Öffnungszeiten mehr. Denn alles unterliegt jetzt der neuen Zeit. Die sich nicht messen lässt. So bestimmt der Zufall, ob ich einen offenen Laden finde. Die Lebensmittel sehen fahl aus. Man hat nur noch das künstliche Licht. Um etwas Frisches wachsen zu lassen. Die Sonne ist ja verschwunden. Zur Arbeit gehe ich nicht mehr. Ich bin krank. Es ist etwas, das viele ereilt. An der Nacht erkrankt zu sein. Vielleicht ist es gar nicht die Nacht selbst. Sondern das, was sich zeigt. Was sich anders zeigt. Und sich anders darstellt. Weil es eben nicht mehr scheint. Ohne das Licht. Ich fühle mich nicht schlecht. Ich fühle mich vielmehr seltsam. Es ist eine ungewöhnliche Stimmung. In der ich mich befinde. Es fühlt sich an, wie über eine hohe, sehr schmale Mauer zu laufen. Ich gehe langsamer. Seither. Jetzt bin ich auf dem Weg zu einem Nachtmarkt. Um mir eine künstliche Sonne zu kaufen. Es gibt sie in verschiedenen Größen. Am zweiten Stand finde ich eine. Sie hat die Größe eines Wasserballs. Und ich trage sie nach Hause. Meinen Ball. Meinen Lichtball. Meine Sonne. Ich befestige sie an der Decke meines Zimmers. Ohne sie anzuschließen. Sie leuchtet aus sich selbst heraus. Seit sie bei mir ist, befinde ich mich in einem Zwischenreich. Zwischen Hell und Dunkel. Zwischen Tag und Nacht. Und ich nenne sie Meine halbhelle Beruhigung. Was eigentlich gar nicht stimmt.

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