Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Donnerstag, 1. Juni 2017

Kalksee



Der Anblick ist unerwartet. Auf den Bildern, die man uns zeigte, war der See grün. Und klar. Und von Kiefern umstanden. Was wir hier vorfinden (nach langer Reise), ist anders. Das Ufer ist nackt. Und der See milchig. Als hätte jemand Pulver hineingestreut, das sich noch nicht ganz aufgelöst hat. Es riecht hier. Nach Schlick. Und wir gehen langsam am Ufer entlang. Um zu durchdenken, ob wir hineingehen. In den See. Wir gehen. Hinein. Schon nach wenigen Zügen stocken meine Bewegungen. Mein Körper fühlt sich an, als wäre er mit Gipsbinden umwickelt. Die jetzt schnell trocknen. Und ganz fest werden. Wie Bandagen. Dann treiben wir alle. Auf der Oberfläche. Des Sees. Umschlungen von etwas Weißem. Nur unsere Gesichter sind ausgespart. Ich bin in einem Kokon. Rufe ich. Und dann spüre ich den Sog. Der uns immer weiter auf die andere Seite des Sees hinüberzieht. Wir kommen an eine Biegung. Die ich vorher gar nicht bemerkt habe. Wir passieren sie. Und laufen dann auf Grund. Das ist das Ufer. Jetzt kommen Vögel. Die mit ihren Schnäbeln unsere Kokons öffnen. Etwas Weißes fällt ab von mir. Weiß. Und immer mehr Weiß. Irgendwann liege ich ganz frei. Dort. Am Ufer. Und erhebe mich. Wie die Vögel. Ich bin jetzt. Über dem Wasser. Der Kalksee ist mein Spiegel. Und darin sehe ich etwas. Das ich nicht kenne.

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