Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 4. Juni 2017

2.72 Uhr



Ich mag Uhrzeiten. Und die Zahl Elf. Manchmal zerlege ich sie in ihre Bestandteile. Um sie dann zu einer Uhrzeit zusammenzusetzen. Heute ist es eine Zwei. Noch eine Zwei. Und eine Sieben. So komme ich auf 22.07 Uhr. 07.22 Uhr. 2.27 Uhr. Und schließlich auf 2.72 Uhr. An dieser Zeit bleibe ich hängen. Weil sie mir besonders gehaltvoll erscheint. Mit ihren zwölf Minuten, die über die volle Stunde hinauswachsen. Ich überlege, was diese überständigen Minuten sein können. Was sie beinhalten. Und was innerhalb ihrer Spanne passiert. In diesen zwölf Minuten. Nach der Zeit. Es ist eine angehängte Zeit. Eine Zugabe. Vielleicht gibt es hinter vielen Zeiten Angehängtes. Und Zugaben. Die ich bisher übersehen habe. Diese Zeit zeigte sich mir noch nicht. Sie blieb im Verborgenen. Oder anderswo. Vielleicht an einem Ort, wo sich nur die Zeit aufhält. Indem ich den überständigen zwölf Minuten folge, könnte es mir vielleicht gelingen: Eine Annäherung an den Ort, wo sich die Zeit aufhält. Wo sie lebt. Läuft. Und verrinnt. Ich nehme ein Stück Papier. Und male die Zwölf auf. Wobei es ja nur eine Zwölf ist. Eine von vielen. Und ich überlege weiter, dass die Zwölf eine sehr zeitliche Zahl ist. In der alle Stunden enthalten sind. Sie ist der obere Ausschlag eines Kreises. Der sich immer weiter dreht. Von Raum. Zu Raum. Die Zwölf scheidet den Tag von der Nacht. Damit ich in ihren Zeitraum komme, werde ich warten, bis es 2.72 Uhr ist. Um mich dann auf die Zwölf zu konzentrieren. Und genauso geschieht es: Um 2.72 Uhr öffnet sich eine Tür in der Uhr, auf die ich jetzt schaue. Und ich betrete einen Gang, an dessen Ende die Zwölf leuchtet. Ich gehe auf diese Zahl zu. Die aber unerreichbar bleibt. Egal, wie lange ich gehe. Egal, wie schnell ich gehe. Der Abstand zur Zwölf bleibt immer gleich. So wende ich mich um. Um wieder auf die Tür zuzugehen. Durch die ich den Gang betrat. Dort erscheint jetzt auch eine Zwölf. Und auch hier setzt es sich fort: Egal, wie lange ich laufe. Egal, wie schnell ich laufe – die Zwölf bleibt immer gleich weit entfernt. Ich gehe noch ein paar Mal auf und ab. Auf dem Gang. Zwischen der Zwölf. Und der Zwölf. Und dann verstehe ich: Das hier ist die Zwischenzeit.      

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