Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Freitag, 23. Juni 2017

Future Island



Zunächst fällt es mir schwer, die Insel zu finden. Sie ist aus einem Material, das sich dem Sehen entzieht. Aber das erfahre ich erst später. Meine Navigationsgeräte arbeiten einwandfrei. Und so steige ich einfach aus, als sie mir das Ziel anzeigen. Ich betrete die Insel. Und schon beim ersten Bodenkontakt gibt sie sich mir zu erkennen. Es ist allgemein bekannt, dass es die Insel gibt. Aber es lassen sich keine Skizzen oder Fotos von ihr finden. So ist die Insel der erste Ort, den ich unvorbereitet besuche. Ich habe mir kein Bild gemacht. Obwohl ich weiß, dass schon Menschen vor mir die Insel besucht haben, gibt es keinerlei Erzählungen oder Berichte über sie. Sie taucht nicht auf. Nirgends. Ich mache meine ersten Schritte auf der Insel, ohne eine Vorstellung von ihren Ausmaßen zu haben. Ich weiß nicht, welche Pflanzen es hier gibt. Welche Tiere sie beheimatet. Ob Städte existieren. Wie viele Menschen hier leben. Ob überhaupt. Welche Sprache man spricht. Welche Zahlungsmittel akzeptiert werden. Noch einmal mache ich mir bewusst, dass ich nichts über sie weiß. Ich gehe. Und folge einer Straße, die einspurig ist. Links und rechts der Straße sind Wiesen. Soweit das Auge reicht. Ich blicke auf ein Grün, das ganz augenscheinlich erst kürzlich gemäht wurde. Es reicht bis zum Horizont. Und ich gehe weiter. Ich folge dieser einen Straße. Und dann taucht rechts von mir eine Plakatwand auf. Ich bleibe davor stehen. Und betrachte das Bild. Das ich bin. Das Bild zeigt genau diese Situation. Ich befinde mich auf einer Straße. In einer Graslandschaft. Ich stehe vor einer Plakatwand. Auf der ich zu sehen bin. Und ich trage darauf auch genau die Kleidung, die ich jetzt trage. Ich gehe. Weiter. Nach einer Stunde taucht wieder eine Plakatwand vor mir auf. Ich bleibe stehen. Und es ist ähnlich. Und ich sage ähnlich, weil auf dem Bild, das ich jetzt sehe, meine Haare länger sind. Und ich älter bin. Nicht viel. Vielleicht fünf Jahre. Und nach einer weiteren Stunde stehe ich erneut vor einer Plakatwand. Auch das bin ich. Die Haare sind jetzt kurz. Sie haben eine andere Farbe. Ich trage keine Brille. Und ich bin siebzig. Mindestens siebzig. Dann sehe ich, dass die Person auf der Plakatwand, die ja ich bin, ihre Lippen bewegt. Es ist jetzt ganz still um mich. Und ich lausche. Der Stimme. Die ja meine eigene ist. Und zu mir spricht: Was kommen wird, bin ich.

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