Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 20. März 2016

Solipsistische Interviews II: Streifen



Mein erster Gedanke: Ich gehe eine Treppe hinunter. Zur U-Bahn. Zum Beispiel. Es ist sehr voll auf der Treppe. Und mein Mantel, mein Ärmel, streift eine andere Person. Dieses Streifen ist mehr als nur eine kurze Berührung, ein kurzer Kontakt: Es ist vielmehr etwas, das sich in einer Bewegung vollzieht. Ein Gleiten. Aneinander. Ich stelle mir vor, Kreide an meinem Mantelärmel zu haben. Dann würde ich das sehen. An dem Gestreiften. Dieses Streifen. Diese Streifen. Irgendetwas bleibt zurück. Irgendetwas bleibt haften. Ein Rückstand eben. Es wäre vielleicht ganz interessant, wenn alle Menschen Kreidemäntel trügen. Nicht alle. Jeder Zweite vielleicht. Und die Anderen hätten etwas Dunkles an. Um es sehen zu können. Dieses Streifen. Diese Streifen. All die Markierungen auf der Kleidung. Die sich auch zählen ließen.  Und die Ergebnisse würden Fragen aufwerfen. Man würde Kategorien bilden. Und weitere Untersuchungen durchführen. In Stadien, Fußgängerzonen, auf Flughäfen. Und dann geschieht etwas: Die Streifen nehmen zu. Sie werden an Hauswänden, Bäumen und an Stränden gesichtet. Schließlich auch auf Kinoleinwänden. Im Fell von Tieren. Und dann am Himmel. Man kommt mit dem Zählen kaum noch nach. Die Kreidemäntel sind längst aus der Mode gekommen. Stattdessen trägt man jetzt Ringe. Oder Reifen. Um den Körper. Gegen das Streifen.

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