Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Freitag, 23. Dezember 2016

Wartesaal



Ich suche einen Ort. Einen Platz. Wo ich mich aufhalten kann. Weil sich das, worauf ich warte, verspätet. Die Tafel in der Vorhalle kündigt vier Stunden an. Ich werde warten. Und so gehe ich auf das hölzerne Portal des Wartesaals zu. Drücke die Messingklinke hinunter. Und öffne langsam die Tür. Der hohe Raum, den ich nun betrete, erinnert mich an eine Kirche. Es gibt farbige Fenster. Und in Reihen aufgestellte Holzbänke. Auch ohne Kerzen haftet diesem Ort etwas Feierliches an. Die Bänke sind fast alle belegt. In der dritten Reihe finde ich Platz. Ganz außen am Gang. Ich verstaue meinen Koffer unter der Bank. Und nehme einen Schluck Wasser. Ich blättere in dem Buch, das ich mitgebracht habe. Dann wende ich mich wieder dem Innenraum zu. Und betrachte die Menschen, die sich hier aufhalten. Einige wirken so, als säßen sie schon eine ganze Weile hier. Tage. Oder sogar Wochen. Mir fällt auf, dass keiner der hier Wartenden ein Gepäckstück bei sich hat. Worüber ich mich wundere. Denn dies ist ein Abfahrtsort. In alle Teile des Landes. Und darüber hinaus. Ich beginne, über den Wartesaal nachzudenken. Vielleicht hat es mit diesem Saal  und den hier Wartenden noch etwas anderes auf sich. Ich drehe mich um. Und wende mich dem Mann schräg hinter mir zu. Er trägt einen Hut, hat ein Stofftaschentuch vor sich ausgebreitet und schält eine Orange. „Worauf warten Sie?“, frage ich ihn. Er schaut hoch. Er schaut mich an. „Dass jemand kommt. Und mir diese Frage stellt.“

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