Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Dienstag, 20. Dezember 2016

Planet _ zwo



Schon seit längerem beobachte ich alles, was außerhalb meines Gehäuses geschieht. Und mit Gehäuse meine ich das Bauwerk, das ich mir auf der Anhöhe errichtet habe. Von weitem gleicht es einem überdimensionalen Ballon. Der weiß ist. Und dessen Außenhaut die Struktur von Facettenaugen hat. Ich nenne es Gehäuse, weil es rund ist. Mich umschließt. Und ich mich hier geborgen fühle. Anfangs bin ich nahezu täglich aus dem Tal (wo mein Haus steht) hier hoch gestiegen. Auf die Anhöhe. Um meine Beobachtungen zu machen. Mittlerweile wohne ich hier. Ich habe mich eingerichtet. Spartanisch. Ich brauche nicht viel. Denn mein Augenmerk liegt anderswo: Mich interessieren Himmelskörper. Ich habe ein Teleskop. Aber das ist eher Tarnung. Eigentlich ist es das Gehäuse selbst, das sieht. Ich erwähnte die Facettenaugen. Ich habe sie so ausgerichtet, dass ich damit den ganzen Himmel absuchen kann. Mit dem Gehäuse und durch das Gehäuse sehe ich genauer, tiefer und schärfer als durch jedes Teleskop. Es reicht also, wenn ich mich nah genug an die Innenhaut (die ja gleichzeitig die Außenhaut ist) stelle. Ich fertige Aufzeichnungen an. Präzise Aufzeichnungen. Und meistens mache ich meine Beobachtungen die ganze Nacht hindurch. Ich schlafe am Tag. Wenn überhaupt. Ich habe mir das Schlafen abgewöhnt. Die meiste Zeit bin ich also wach. Heute habe ich etwas Außergewöhnliches gesehen. Es ist ein Planet. Den ich noch nie zuvor sah. Und der auch nirgends verzeichnet ist. Ich werde ihm einen Namen geben. Und ich werde nach einer Möglichkeit suchen, dorthin zu gelangen. Das wird mir (ich weiß es) mit Hilfe der Facettenaugen gelingen. Ich werde eine Brechung erzeugen. Die so etwas sein wird wie Lichtgeschwindigkeit. Nur anders. Und es ist mir tatsächlich gelungen. Ich bin da. Auf dem Planeten. Und ich bin hier umgeben von zersprungenen Bildern. Es müssen reflektierte Impressionen der Erde sein. Und auf einem dieser Bilder erkenne ich auch das Gehäuse. Sein Inneres ist jetzt nach Außen gestülpt. Und nun begreife ich. Die Zeit.

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