Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Samstag, 24. Dezember 2016

Auf den Wassern



Ich habe die Seen, Meere und Flüsse nicht gezählt. Weltumspannend. Ich behaupte jedoch, sie alle besucht zu haben. Aufgesucht zu haben. Denn ich war auf der Suche. Nach einer Oberfläche. Es ging mir gar nicht so sehr um das Darunter. Um dieses Wässrige. Liquide. Ich wusste ja, wie es sich anfühlt, dort hinein zu gehen. Ins Wasser. Und einzutauchen. Was mich vielmehr interessierte, war die Oberfläche. Die ja jedes Mal zu durchbrechen oder zu überwinden war. Nur wahrgenommen hatte ich sie nie. Jetzt wollte ich mehr wissen. Über jene Oberfläche. Des Wassers. Aller Gewässer. Erdweit.

Ich habe gelernt, mit meiner Hand darüber zu streichen. Selbst dann, wenn das Wasser sich kräuselt. Oder Wellen schlägt. Meine Hand berührt stets diese obere Schicht. Die Oberfläche. Und damit bleibt die Hand auch immer auf dem Wasser. Sie ist nie in ihm. Oder darunter.

Meine Augen können das auch. Sie suchen ab. Sie tasten ab. Sie gleiten darüber. Und manchmal fangen sie etwas ein. Ich besitze schon eine ganze Sammlung von Fundstücken. In Vitrinen. Ich habe mir eine Systematik überlegt. Die Gliederung ist alphabetisch. Sie folgt den Namen der Gewässer. Auf denen ich die Fundstücke fand. Mit meinen Augen. Da ich mit meinen Augen nichts herausziehen oder herausnehmen kann, sind das, was sich in den Vitrinen befindet, Bilder. Abbilder. Fotokopien meiner optischen Funde. Das heißt: All das, was sich auf den Bildern zeigt, treibt noch immer in oder auf den Gewässern herum. Oder ist zwischenzeitlich angespült worden. Als Treibgut. Oder auf den Grund gesunken.

Was ich auch gelernt habe: Mit meinen Füßen auf den Wassern zu gehen. Das gelingt mir immer dann, wenn ich die Oberflächenspannung spüre. Es sind andere Reisen, Fußreisen auf Wasserwegen, die ich seither mache: Ich bin über den Atlantik gegangen. Während es noch schneite. Ich habe den Ärmelkanal passiert. An einem Wochenende im Mai. Ich bin nach Grönland gewandert. Im Herbst.

Als das Eis kam, sank ich ein.

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