Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Samstag, 28. Februar 2015

Meet and Meat



Ich betrat einen Raum von beachtlicher Größe, in dessen Mitte sich eine festlich geschmückte Tafel befand. Erleichtert stellte ich fest, dass man für sechs Personen gedeckt hatte. Eine gerade Zahl war ein gutes Vorzeichen. Ich ging das erste Mal zu einem Treffen dieser Art, bei dem sich Unbekannte zu einem Essen zusammenfinden, um sich kennen zu lernen. Genauer gesagt ging es natürlich darum, jemanden kennen zu lernen. Ich hatte in der letzten Ausgabe des Stadtmagazins davon gelesen und der Gastgeberin, die sich mir als Sabine vorstellte, eine E-Mail geschrieben. Ihre Zusage erhielt ich schon am nächsten Tag, und so machte ich mich an dem darauf folgenden Freitag dann auf den Weg zu „Meet and Meat“. Von dem Namen fühlte ich mich zunächst gar nicht so sehr angesprochen, da ich mir aus Fleisch eigentlich wenig mache.
Drei Gäste waren bereits eingetroffen, standen mit Weingläsern in der Hand auf dem Balkon und gaben sich zwanglos. Sabine stellte mir Max, einen gut aussehenden Endvierziger, Eva, eine selbstbewusst wirkende Brünette und Karin vor, die aus einem überschminkten Gesicht heraus die Runde unterhielt. Schon nach wenigen Augenblicken setzte ich auf die dritte Frau, die dann auch einige Minuten später fast zeitgleich  mit den beiden anderen Gästen eintraf.
Und tatsächlich gefiel mir Marie. Sie war mittelgroß, schlank und trug das kastanienfarbene Haar zu einem Zopf zusammengebunden, was ihr eine etwas strengere Note gab. Sie war ganz in schwarz gekleidet, Anfang vierzig und wir erfuhren bald, dass sie als Architektin arbeitete. Jan und Axel, die beiden weiteren Männer in der Runde, spielten sich schon nach kurzer Zeit gekonnt die Bälle zu, um eine möglichst gute Figur zu machen. Zu meiner Freude nahm Marie  mir gegenüber Platz, so dass ich sie gut im Blick hatte.
Als Vorspeise servierte Sabine eine Gazpacho, eine hervorragende Idee für einen heißen Sommertag. Im Hintergrund lief leise Klaviermusik und Max bemerkte, dass Ravel zu einem guten Essen ja immer passe. Alle aßen und lobten die Suppe, die auch wirklich ganz ausgezeichnet schmeckte, bis auf Marie, die die Suppe immer wieder langsam von ihrem Löffel auf den Teller fließen ließ. Etwas gedankenverloren und immer noch auf ihren Löffel schauend, durchbrach sie die essensbedingte Stille: „Wisst ihr eigentlich, dass der menschliche Magen kalte Fette nur schwer verdauen kann. Und dem Gemüsefond – und ich hoffe doch sehr, dass es ein Gemüsefond und kein Hühnerfond ist, gar nicht auszudenken, was da verarbeitet wird - fast jedem Fond wird jedenfalls Glutamat beigesetzt, dieser Geschmacksverstärker, mit dem sie uns in jedem asiatischen Restaurant traktieren. Man geht ja heute davon aus, dass dieser Stoff Herzrasen, Schweißausbrüche und Schwindel auslöst. Deshalb habe ich schon vor einiger Zeit beschlossen, von fremd gekochten Suppen Abstand zu nehmen.“ Stille und dann ein Räuspern. „Na, dann lass die Suppe doch einfach stehen“, schlug Karin augenzwinkernd vor.
Sabine stand auf, räumte die Teller zusammen und ging in Richtung Küche. „Dann lasst es uns mal mit dem Hauptgang probieren.“ Die Unterhaltung am Tisch setzte wieder ein, Axel schenkte uns Wein und Wasser nach und ich beobachtete Marie, die das Weinglas vor sich hin und her schob, sich dann schließlich eine Flasche nahm und das Etikett studierte. „Das ist ein Spitzenwein, dieser Sauvignon“, sagte Eva in Maries Richtung, „habe schon seit längerem keinen so guten mehr getrunken.“ Ich guckte nach unten, was ich immer tue, wenn ich etwas Aufschwelendes vermute. „Selbst die meisten Weine aus kontrolliertem Anbau werden ja mit Gelatine geklärt. Das finde ich einfach widerlich. Nur bei koscherem Wein ist man wirklich auf der sicheren Seite. Die machen da nicht mit bei diesen Schweinereien.“ --- Wieder Marie. „Gehst du eigentlich häufiger zu „Meet and Meat“?“, fragte Axel.
Doch dann kam auch schon Sabine mit dem Hauptgang herein. Es gab Schweinekoteletts in Rosmarinsoße, dazu Gemüse. Die Paprika, Zucchini und Champignonköpfe, augenscheinlich in einer leichten Sahnesoße geschwenkt,  sahen verführerisch aus. Die anderen Gäste teilten wohl diesen Eindruck, denn kehlige Laute der Vorfreude füllten den Raum. Ich nahm ein paar Bissen und es war ausgezeichnet. Sollte ich den Blick zu ihr hinüber wagen? Ich konnte ja auch nicht die ganze Zeit so vor mich hinessen, ohne mich den anderen wieder zuzuwenden. Lustlos stocherte sie in ihrem Essen herum. Dann schnitt sie ein Stück Fleisch ab, betrachtete und beroch es. Und wieder nutze sie einen ruhigen Moment aus, um  anzusetzen. „Rotes, nicht durchgebratenes Fleisch enthält oft Polyomaviren. Stark krebserregend. Pilze in Kombination mit einer Soße auf Sahnebasis vertrage ich so überhaupt nicht. Eiweiß ist bei mir nämlich ganz fatal. Einmal ist mein Gesicht derartig angeschwollen, dass man schon den Krankenwagen rufen wollte. Und diese Laktoseintoleranz ist etwas ganz Perfides. Ihr glaubt gar nicht, wo sich diese Laktose so überall versteckt. Und es gibt nach wie vor keine einheitliche Deklarationspflicht. Quälend, wirklich quälend ist das.“
In solchen Momenten wünsche ich mir Musik. Laute, gewaltsame Musik, die wie ein Sturm den Raum durchfährt, alles einreißt und zum Umstürzen bringt. Doch was ich nun hörte, war Debussy - Der Nachmittag eines Fauns - und dieses Klavierkonzert konnte hier gar nichts ausrichten.
Ich blickte in die Runde, in der nun Blicke ausgetauscht wurden, die schon fast etwas Eingeschworenes hatten. Und ich merkte Sabine die Anstrengung an, den nächsten Satz möglichst beiläufig klingen zu lassen. „Zum Nachtisch habe ich etwas ganz Einfaches vorbereitet. Es gibt Vanilleeis mit frischen Früchten.“ Alle Blicke richteten sich nun auf Marie. „Danke. Ich verzichte. Mit einer Laktose- geht nämlich auch häufig eine Fruktoseunverträglichkeit einher. Ich werde wieder die Nacht über wach liegen mit diesen unerträglichen Magen- und Darmkrämpfen.“ – „Kann ich dir sonst irgendetwas anbieten? Vielleicht einfach ein Stück Brot. Vielleicht ginge das ja.“
„Aber, aber…“, entgegnete sie und schlug ihre Augen gen Decke, „Unter 800 Kalorien fange ich mit dem Essen doch erst gar nicht an.“
Ich stand auf, um auf dem Balkon eine Zigarette zu rauchen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.