Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Dienstag, 3. Februar 2015

Eigengewächs



„Hier ist Nacht“, sagte der Kieselleib. „Ich atme tote Luft und klopfe gelangweilt gegen den Käfig. Vielleicht sollte ich mich auf eine Expedition begeben. Eine Reise durch den Großen Zerrspiegel. Hin zum Depot mit dem glasierten Steingut. Dann weiter zur Hochebene. Alles auffressen. Das ganze Gestein.“

Nichts von dem geschah. Das heißt: Nichts von dem war da, als der Kieselleib den Großen Zerrspiegel durchschritt. Weder Hochebene. Noch Depot. Stattdessen stand ihm ein Seeungeheuer gegenüber. „Was ist das für ein absonderliches Kleid, das Sie da tragen?“ „Ein Kreppkleid“, antwortete das Seeungeheuer und atmete schwer. „Ach, mir ist ganz elendig. Mein Porträt ist gebrochen.“ „Wie kann das sein?“, wollte der Kieselleib wissen. „Schuld ist meine Migräne. Sehen Sie nur (das Ungeheuer wies auf einen Drahtkorb): Dort liegt es, mein geborstenes Hirn.“ Der Kieselleib nahm eine Lupe und betrachtete es eingehend. „Hoffentlich keine Infektion“, flüsterte das Ungeheuer. Tief besorgt. „Nun, was ich hier sehe, ist Trockenfleisch. Aber das ist nur temporär. Ich fixiere es auf Super 8. Dann haben wir ein Modell. Und formen Ihnen ein neues aus Silikon.“ „Mir sind leider die Hände gebunden“, äußerte das Seeungeheuer. Und machte ein verwischtes Gesicht. „Ich gehe jetzt schwimmen. Da bin ich in meinem Element.“ Und verschwand in die Badeanstalt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.