Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Donnerstag, 26. Februar 2015

LOOP



Nach Kairo bin ich dann aber doch gefahren. Über Nacht, in einem Konvoi aus acht Reisebussen, begleitet von zwei Militärfahrzeugen und einem Bewaffneten, der direkt neben dem Busfahrer saß. Alles zu unserer Sicherheit. Irgendwann bin ich eingeschlafen und dann wieder aufgewacht. Mein Magen krampfte. Ich zog das T-Shirt hoch. Was war das denn? Beunruhigt betrachtete ich die Wölbung – mein Bauch war ja ganz aufgeworfen! Einige Minuten später benutzte ich die Bustoilette. Und das wiederholte ich dann. Die Mienen meiner Mitreisenden verfinsterten sich, einige schauten mich schon angewidert an. Mitten in der Wüste machten wir Rast an einer Tankstelle. Ich blieb einfach sitzen, weil ich mich zu schwach fühlte. Wie glücklich war ich, dass mir ein Paar, das weiter hinten saß, eine Cola mitbrachte. „Vielleicht hilft Ihnen das ja ein bisschen, Sie Armer“, sagte die Frau, und der Mann klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Ich trank. Und tatsächlich ging es mir danach ein wenig besser. Erleichtert ließ mich in meinen Sitz fallen. „Großes Gänsebratenessen mit Familie...“ -  die Stimmen meiner Mitreisenden kamen wieder näher. „Wir haben keine Probleme...“ Die Frauen vor mir unterhielten sich. „Wenn du die Enkelchen sehen willst...“ --- Endlich ein bisschen Ablenkung. Ich lehnte meinen Kopf ans Fenster, schloss die Augen und ließ sie weiterreden:
Da musste ich mal was sagen am Strand. Stell dir vor, da taucht plötzlich sowas Strubbeliges auf, nimmt den Rucksack und geht. Der muss sich dann direkt unter der Sandoberfläche verbuddelt haben. (lacht) Lass mal. Wir beiden. Wir haben einen Gedanken. Stößchen. Korn schmeckt nicht. Muss kalt sein. Mir macht das nichts. Jaja, wie damals mit zwanzig. Unsere Jägermeisterzeit. Da stand auf der Flasche: Bitte eiskalt servieren. So kalt kriegste den ja in keiner Kühlung. Das schmeckt schon alles gut. Nee, Champagner nicht. Muss ja nicht jeder trinken. Sekt ist besser. Was denn für´n Sekt? Jules Mumm. Den gibt´s jetzt als Rosé. Der Wolfgang, der hat auch gern Sekt gemocht. Der Wolfgang konnte nicht laufen. Aber essen. Ich musste ja meine Buletten loswerden zu Pfingsten. (lacht) Ich dachte, an Pfingsten siehst du keine Tiere. Das war nicht Wolfgang. Das war der Dicke. Da haben wir doch alle gesoffen. Weil es so kalt war. Meine Mutti war Alkoholikerin. Nein aber. Ach ja. Der ging´s ja so dreckig. Hat sich ´ne Sehne gequetscht. Ach ja. Aber schmerzfrei an ihrem Geburtstag. Jaja. Nee. Das kann ich verstehen. Um Gottes Willen. Mit jedem Jahrzehnt ändert sich was. Dank der Tussi. Welche Tussi? Na damals – als ihr noch verheiratet wart. Nee, da hab ich glich gedacht: Das geht ja gar nicht! Da stand nur Kaffee und Wasser. Aber du wolltest der ein Bier ausgeben. Warst du da ölig. Ach, halt die Klappe! Ich kann das nicht mehr hören. Und der letzte Trip? Malle? Nee, Malediven. Wie lange fliegt man denn da? Also 11 Stunden. Und - hat das geklappt? War nicht so schlimm, da kannste ja die ganze Zeit essen und trinken. Aber 11 Stunden ohne zu rauchen? Ging auch. Und dicke Beine? Meistens zieh´ ich ja Thrombosestrümpfe an. Es gibt so widerlichen Frauenfüße. Da denkste, Frauen haben keine Stinkefüße. (lacht) 11 Stunden Stinkefüße. Und ich dann zum Steward: Bring mir Champagner. Hat aber keinen gebracht. Der Service war halt scheiße. Business ist ja eh besser. Und Renate? Mit Brille? Jaja. Schon lange. Da wolltet ihr doch im Herbst hin. Die Autobahn. Alles dicht. Alles zu. Gerade jetzt, wo Ferien sind. Aber danach. Hattest du nicht ´nen Termin jetzt? Ach ja – wenn das Blut kocht. Da bist du wieder zum Anwalt hin? Jetzt am Dienstag. Ich ruf dich an. Oder fliegst du am Mittwoch? Ich ruf dich an, ok? Jaja, ich kenn das. Jeder Mensch macht im Leben einen großen Fehler. Und deiner war, dass du den geheiratet hast. Ach, hier in dem Laden. Ach so. Ach, ist das süß. Da krieg ich ´ne Gänsehaut. Nee, ehrlich. Doof ist man nun auch nicht. Ich hab das verteidigt. Ich hab das genossen. Ja. Warum? Weil der mich so geliebt hat. Hör mir bloß auf. Ich kenn doch die Story. Bloß, Schatzele, du machst ja selten, was man dir sagt.
Ich öffne die Augen: Das muss Kairo sein. Müllberge und Gebäudesklette. Mehrstöckige Rohbauten ohne Fassaden und Fenster. Aber irgendwas bewegt sich da. Das sind ja Menschen!  Menschen, die in den Gebäuden herumlaufen. Herumstehen. Herumliegen. Wir fahren weiter.
Im Hotel angekommen, sage ich bei der Reiseleitung meine Teilnahme an der Stadtrundfahrt ab und gehe direkt auf mein Zimmer. Von dort aus habe ich einen unverbauten Blick auf die Pyramiden, die mit Anbruch der Dunkelheit farbig angestrahlt werden. Ich lasse die Vorhänge offen und beobachte vom Bett aus das Farbspiel aus Grün, Blau und Rot, ein sich drehendes Prisma, das schließlich immer mehr verschwimmt.
Am nächsten Tag fährt man mit uns zu den Pyramiden. Ich entscheide mich für die kleinste, die Mykerinospyramide. Am Eingang steht ein Mann, dem ich einen Geldschein gebe und der mich dann mit einem leichten Schubs in den Gang bugsiert. Unglaublich schmal und niedrig ist es hier. Ich gehe gebückt weiter, blicke noch einmal zurück - doch da taucht auch schon der nächsten Besucher am Eingang auf. Es geht immer tiefer hinein. Der Gang wird noch enger und die Luft immer stickiger. Ich gehe schneller, um endlich anzukommen. Die Kammer! Endlich unten! --- Kein Sauerstoff. Und einen Schatz gibt es auch nicht. Der Raum füllt sich. Ich schwitze. Raus! Nur raus hier! Ein Gang, der nach oben führt. Weiter, lauf weiter! Und dann plötzlich dieser Mann vor mir. Ziemlich füllig. Ich höre sein Schnaufen. „Sorry“, keucht er. „Move on!“, schreie ich und stoße ihn vor mir her. „Bleib jetzt bloß nicht stecken, du fettes Schwein!“ Dann endlich das erlösende Licht und Hände, die mich herausziehen. Im Bus komme ich wieder zu mir. Ich schaue aus dem Fenster: Eine Gruppe Japaner. Sie tragen Baumwollhüte und kleine Schirme gegen die Sonne. Hüte und Schirme. Schirme und Hüte. Das beruhigt mich. Ruhig. Ganz ruhig. Dann klopft jemand an die Scheibe. „Cheese“,  lacht der Mann. Und ich kann mich gar nicht mehr schnell genug ducken.

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