Ich betrat
einen Raum von beachtlicher Größe, in dessen Mitte sich eine festlich
geschmückte Tafel befand. Erleichtert stellte ich fest, dass man für sechs
Personen gedeckt hatte. Eine gerade Zahl war ein gutes Vorzeichen. Ich ging das
erste Mal zu einem Treffen dieser Art, bei dem sich Unbekannte zu einem Essen
zusammenfinden, um sich kennen zu lernen. Genauer gesagt ging es natürlich
darum, jemanden kennen zu lernen. Ich
hatte in der letzten Ausgabe des Stadtmagazins davon gelesen und der
Gastgeberin, die sich mir als Sabine vorstellte, eine E-Mail geschrieben. Ihre
Zusage erhielt ich schon am nächsten Tag, und so machte ich mich an dem darauf
folgenden Freitag dann auf den Weg zu „Meet and Meat“. Von dem Namen fühlte ich
mich zunächst gar nicht so sehr angesprochen, da ich mir aus Fleisch eigentlich
wenig mache.
Drei Gäste
waren bereits eingetroffen, standen mit Weingläsern in der Hand auf dem Balkon und
gaben sich zwanglos. Sabine stellte mir Max, einen gut aussehenden
Endvierziger, Eva, eine selbstbewusst wirkende Brünette und Karin vor, die aus
einem überschminkten Gesicht heraus die Runde unterhielt. Schon nach wenigen
Augenblicken setzte ich auf die dritte Frau, die dann auch einige Minuten
später fast zeitgleich mit den beiden
anderen Gästen eintraf.
Und
tatsächlich gefiel mir Marie. Sie war mittelgroß, schlank und trug das
kastanienfarbene Haar zu einem Zopf zusammengebunden, was ihr eine etwas
strengere Note gab. Sie war ganz in schwarz gekleidet, Anfang vierzig und wir
erfuhren bald, dass sie als Architektin arbeitete. Jan und Axel, die beiden
weiteren Männer in der Runde, spielten sich schon nach kurzer Zeit gekonnt die
Bälle zu, um eine möglichst gute Figur zu machen. Zu meiner Freude nahm
Marie mir gegenüber Platz, so dass ich
sie gut im Blick hatte.
Als
Vorspeise servierte Sabine eine Gazpacho, eine hervorragende Idee für einen
heißen Sommertag. Im Hintergrund lief leise Klaviermusik und Max bemerkte, dass
Ravel zu einem guten Essen ja immer passe. Alle aßen und lobten die Suppe, die
auch wirklich ganz ausgezeichnet schmeckte, bis auf Marie, die die Suppe immer
wieder langsam von ihrem Löffel auf den Teller fließen ließ. Etwas gedankenverloren
und immer noch auf ihren Löffel schauend, durchbrach sie die essensbedingte
Stille: „Wisst ihr eigentlich, dass der menschliche Magen kalte Fette nur
schwer verdauen kann. Und dem Gemüsefond – und ich hoffe doch sehr, dass es ein
Gemüsefond und kein Hühnerfond ist, gar nicht auszudenken, was da verarbeitet
wird - fast jedem Fond wird jedenfalls Glutamat beigesetzt, dieser
Geschmacksverstärker, mit dem sie uns in jedem asiatischen Restaurant
traktieren. Man geht ja heute davon aus, dass dieser Stoff Herzrasen,
Schweißausbrüche und Schwindel auslöst. Deshalb habe ich schon vor einiger Zeit
beschlossen, von fremd gekochten Suppen Abstand zu nehmen.“ Stille und dann ein
Räuspern. „Na, dann lass die Suppe doch einfach stehen“, schlug Karin
augenzwinkernd vor.
Sabine
stand auf, räumte die Teller zusammen und ging in Richtung Küche. „Dann lasst
es uns mal mit dem Hauptgang probieren.“ Die Unterhaltung am Tisch setzte
wieder ein, Axel schenkte uns Wein und Wasser nach und ich beobachtete Marie,
die das Weinglas vor sich hin und her schob, sich dann schließlich eine Flasche
nahm und das Etikett studierte. „Das ist ein Spitzenwein, dieser Sauvignon“,
sagte Eva in Maries Richtung, „habe schon seit längerem keinen so guten mehr
getrunken.“ Ich guckte nach unten, was ich immer tue, wenn ich etwas
Aufschwelendes vermute. „Selbst die meisten Weine aus kontrolliertem Anbau
werden ja mit Gelatine geklärt. Das finde ich einfach widerlich. Nur bei
koscherem Wein ist man wirklich auf der sicheren Seite. Die machen da nicht mit
bei diesen Schweinereien.“ --- Wieder Marie. „Gehst du eigentlich häufiger zu
„Meet and Meat“?“, fragte Axel.
Doch dann
kam auch schon Sabine mit dem Hauptgang herein. Es gab Schweinekoteletts in
Rosmarinsoße, dazu Gemüse. Die Paprika, Zucchini und Champignonköpfe,
augenscheinlich in einer leichten Sahnesoße geschwenkt, sahen verführerisch aus. Die anderen Gäste
teilten wohl diesen Eindruck, denn kehlige Laute der Vorfreude füllten den
Raum. Ich nahm ein paar Bissen und es war ausgezeichnet. Sollte ich den Blick
zu ihr hinüber wagen? Ich konnte ja auch nicht die ganze Zeit so vor mich
hinessen, ohne mich den anderen wieder zuzuwenden. Lustlos stocherte sie in
ihrem Essen herum. Dann schnitt sie ein Stück Fleisch ab, betrachtete und
beroch es. Und wieder nutze sie einen ruhigen Moment aus, um anzusetzen. „Rotes, nicht durchgebratenes
Fleisch enthält oft Polyomaviren. Stark krebserregend. Pilze in Kombination mit
einer Soße auf Sahnebasis vertrage ich so überhaupt nicht. Eiweiß ist bei mir
nämlich ganz fatal. Einmal ist mein Gesicht derartig angeschwollen, dass man
schon den Krankenwagen rufen wollte. Und diese Laktoseintoleranz ist etwas ganz
Perfides. Ihr glaubt gar nicht, wo sich diese Laktose so überall versteckt. Und
es gibt nach wie vor keine einheitliche Deklarationspflicht. Quälend, wirklich
quälend ist das.“
In solchen
Momenten wünsche ich mir Musik. Laute, gewaltsame Musik, die wie ein Sturm den
Raum durchfährt, alles einreißt und zum Umstürzen bringt. Doch was ich nun
hörte, war Debussy - Der Nachmittag eines
Fauns - und dieses Klavierkonzert konnte hier gar nichts ausrichten.
Ich
blickte in die Runde, in der nun Blicke ausgetauscht wurden, die schon fast
etwas Eingeschworenes hatten. Und ich merkte Sabine die Anstrengung an, den
nächsten Satz möglichst beiläufig klingen zu lassen. „Zum Nachtisch habe ich
etwas ganz Einfaches vorbereitet. Es gibt Vanilleeis mit frischen Früchten.“
Alle Blicke richteten sich nun auf Marie. „Danke. Ich verzichte. Mit einer
Laktose- geht nämlich auch häufig eine Fruktoseunverträglichkeit einher. Ich
werde wieder die Nacht über wach liegen mit diesen unerträglichen Magen- und
Darmkrämpfen.“ – „Kann ich dir sonst irgendetwas anbieten? Vielleicht einfach
ein Stück Brot. Vielleicht ginge das ja.“
„Aber,
aber…“, entgegnete sie und schlug ihre Augen gen Decke, „Unter 800 Kalorien
fange ich mit dem Essen doch erst gar nicht an.“
Ich stand
auf, um auf dem Balkon eine Zigarette zu rauchen.