Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Montag, 6. November 2017

Verlassene Räume



Ich strich durch den Wald und bewegte mich immer mehr auf die Anhöhe zu. Diesen Teil des Waldes kannte ich. Alles, was hinter der Anhöhe lag, war hingegen unbekanntes Gelände. Ich beschloss, meinen Weg in diese Richtung fortzusetzen. Der Wald jenseits des Kamms glich dem, den ich schon so oft durchwandert hatte. Auch er bestand aus Nadelhölzern. Dann aber bemerkte ich, dass an jedem Stamm ein Kissen lag. Es waren Luftkissen. Aus gelbem Gummistoff. Ich setzte meinen Weg fort. Und bewegte mich jetzt auf ein Tal zu. Als ich näher kam, sah ich Bauwerke. Sie erinnerten mich an Industrieanlagen und waren gleichzeitig reich verziert mit Ornamenten, die in dieser Gegend fremd erschienen. An einigen Gebäuden gab es Ranken, die das Gemäuer fest umschlossen. Ich blieb einen Moment stehen, um zu lauschen. Es war vollkommen still. Ich näherte mich einem Gebäude, welches das größte am Platz war - und drückte gegen die Tür, die sich öffnen ließ. Ich ging einen langen Korridor hinunter. Rechts und links vom Gang waren Zimmer – kleine Räume, die alle gleich ausgestattet waren. Es gab ein Bett, einen Schreibtisch mit dazugehörigem Stuhl und einen Metallspint. Auf den Betten lagen Decken. Als ich den nächsten Raum betrat, schaltete ich das Deckenlicht ein, weil es mir hier etwas dämmriger erschien. Ich ging zu dem Spint und sah, dass er mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Das setzte sich fort in allen Räumen. Und ich ging weiter zu dem Raum, der sich ganz am Ende des Korridors befand. Dieser Raum war sehr groß. Die Decke erschien mir höher und es gab Sessel, die kreisförmig aufgestellt waren. Ich zählte zwölf. An der hinteren Wand befand sich ein Kamin. Als ich vor ihm stand, spürte ich, dass von ihm noch Wärme ausging. Ich sah auf die Uhr und beschloss, in meinen Ort zurückzugehen. Und in ein paar Tagen noch einmal hierher zurückzukehren, um alles weiter in Augenschein zu nehmen. So ging ich zurück, die Anhöhe hinauf bis zum Kamm, die Anhöhe wieder hinunter – und durchquerte schließlich  das Waldstück, das ich seit jeher kannte. Als ich auf die Ortschaft, in der ich lebte, zuging, dämmerte es schon. Ich näherte mich den Gebäuden. Und dann sah ich es: Ich stand vor der Industrieanlage, die ich vor wenigen Stunden jenseits der Anhöhe vorgefunden hatte. Ich ging zum Eingang, öffnete die Tür und folgte dem langen Korridor. An einem der Zimmer las ich meinen Namen. Ich ging weiter und erreichte einen großen Raum. Im Kamin brannte ein Feuer. Ich zählte elf Sessel, in denen Menschen saßen. Der zwölfte war frei.

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