Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Donnerstag, 12. November 2015

Schlafendes Wasser




Den ganzen Tag über war es nicht richtig hell geworden. Ich beschloss trotzdem, noch ein bisschen durch die Straßen und Gassen zu schlendern. Es war ja mein erstes Mal in dieser Stadt. Nachdem ich mir die Auslagen einiger Geschäfte angeschaut hatte, blieb mein Blick an einem Ladenschild hängen. Schlafendes Wasser, las ich. Und ging näher heran. Im Schaufenster standen gläserne Gefäße unterschiedlicher Form und Größe. Und sie waren alle mit einer Flüssigkeit gefüllt. Ich betrat den Laden. Es war ein schmaler, hoher Raum. An den Wänden Holzregale. Darin eine Vielzahl an Glasgefäßen. Mir fiel auf, das sie unterschiedlich hoch befüllt waren. Im hinteren Teil des Raums konnte ich jetzt die Umrisse einer Person erkennen. Ich grüßte. Bekam jedoch keine Antwort. Unschlüssig schritt ich langsam eine Regalreihe ab. Nehmen Sie ein Glas und bewegen Sie es ein wenig in Ihrer Hand, hörte ich nun. Noch etwas zögerlich besah ich die Gefäße vor mir. Und nahm schließlich eines heraus. Es war schwerer, als ich vermutet hatte. Ich neigte das Glas ein wenig zur Seite. Die Flüssigkeit blieb völlig reglos. Wie gefroren. Jetzt schütteln Sie das Glas. Neben mir stand nun ein Mann, der mich aufmunternd anlächelte. Ich bewegte das Glas mit schnellen, festen Bewegungen. Als ich innehielt, hatte sich im Glas nichts verändert. Es war vollkommen still darin. Es schläft, sagte der Mann. Wie kann ich es wecken?, wollte ich wissen. Er sah mich länger an. Wie könnte man Sie wecken?, fragte er. Und verschwand wieder im hinteren Teil des Ladens.

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