Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Sonntag, 19. Dezember 2021

Süßschnee

 

Wir essen jetzt Schnee,

den wir auf Fenstern,

Dächern und Eisflächen finden.

Er schmeckt süß -

süßer als süß.

Wir sind süchtig danach.

 

Unser Blick wird ganz starr.

Er kennt nur noch eine Richtung –

die des Schnees.

Alles andere scheint für die Augen verloren.

 

Nachts legen wir Vorräte an.

In felsigen Kammern schichten wir Schnee.

Das ist die Jungsteinzeit (denken wir) -

und bringen an der Tür ein Siegel an.

 

In den Tiefen unserer Münder lassen wir es jetzt schon Sommer sein – und eine tiefe Unruhe befällt uns.

Aber noch ist Zeit -

noch sechs Monde

 

Ein Gedanke treibt uns um:

Vielleicht wird der Schnee in den Kammern im Sommer schon zu Staub geworden sein.

In unseren Häusern werden wir dann Flockiges essen.

Es schmeckt trocken und fade -

und windet sich wie Fäden um unsere Zungen.

Der Schnee entzieht sich uns.

Kalter Schweiß und zittrige Hände.

 

Wir werden uns den Winter holen!

 

Draußen im Gebirge zündet man einen Vulkan.

Nichts als graue Aschewolken –

bis der Himmel erkaltet.

Es ist Ende April.

 

Wir warten.

Aber der Schnee bleibt fern.

Der Schnee bleibt aus –

wohl Myriaden Monde lang.

 

Und seine Wurzel versteckt er seither im süßen Grau der Asche.

 

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