Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Donnerstag, 23. September 2021

Kryptisch

 

Den Tag verbringe ich am Fluss. 

Gegen Mittag springt mein Blick zwischen sandigem Ufer 

und gebauschtem Himmel.

Bei silbrigem Licht gehe ich die Promenade hinunter - 

in nördliche Richtung.


Dann taucht am Rand eine Tafel auf.

Sie steht direkt hinter der weißen Markierung,

die Weg und Ufer trennt.

Ich sehe mir die Fläche an.

Zwei Zeichen stehen da,

einsam fast.

Vielleicht sind sie Anfang und Ende von etwas. Dazwischen nichts. 

Vergilbte Leere.

Es setzt sich nicht zusammen.

Mehr noch: Das, was sich hier zeigt,

scheint unbrauchbar.

Man hat diesem einstigen Wort seinen Rahmen gelassen -

den ersten und letzten Buchstaben.

Wie zwei Pflöcke stehen sie da -

Anfang und Ende.


Den Rest (das Herz, den Muskel der Zeichen)

hat man ausradiert.

Getilgt.

Vielleicht vertilgt –

sogar.


Ich könnte jetzt rätseln.

Stundenlang.

Stattdessen greife ich in meinen Mantel und suche den Innenstoff ab.

Vor Jahren (in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, an einem anderen Fluss)

kaufte ich eine handvoll Zeichen.

Der Kurs war günstig,

und ihr Wert stieg von Jahr zu Jahr.


Die Zeichen machten mich reich.

Ich war vermögend,

ohne sie veräußern zu können.

Nichts und niemand nahm sie an.

Jetzt – hier am Fluss an einem Oktobertag -

füge ich sie ein.


Nun fühle ich mich leicht -

befreit von den Zeichen,

die sich auf der Tafel verbinden -

bis das Wort sich zeigt.

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