Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Mittwoch, 21. Juni 2023

catwalk auf hochplateau

 

am nordufer begrenzen wir den see mit bahnen aus holz.

unsere augen messen die abstände aus.

dazwischen pflanzen wir anemonen.

 

später (es ist fast abend) betrachten wir

das gegenüberliegende ufer.

dort ist ein gebirgspass,

der kieselig schimmert.

zwischen hier und dort weißes wasser,

das zu dieser stunde wie gekämmt aussieht.

 

unsere haut wird welk,

während wir hinüberschauen.

jemand sagt, die nerven des gebirges reichten bis weit hinter unsere bahnen aus holz.

 

so schlüpfen wir in grauweiße kostüme

und sehen darin wie das gebirge aus.

 

es blickt uns von dort drüben an.

es schaut auf sich selbst ---

gebirgskörper,

körpergebirge,

die sich an den ufern gegenüberstehen.

 

wir wachsen

zu einem hochplateau heran ---

eintausendachthundert meter.

und werden zu einem catwalk für alles,

was sich hier zeigen will,

begleitet vom sound des wassers.

Mittwoch, 24. Mai 2023

morgen des 5. / raunacht

 

der wald kam bis zu den randsiedlungen der stadt.

dann ging er ueber sie hinweg,

und wir versteckten uns in den katakomben.

 

an diesem wintermorgen erhebt sich der uhrmacher von seinem lager (wir schlafen auf laub, das wir in plastiksäcke gestopft haben) und spricht von einem himmelskörper.

 

er tut dies, als wuerde er von einem menschen erzaehlen – mit haut und haar.

 

der uhrmacher selbst moechte sich in wind verwandeln und in einem stroemungskanal leben.

die form der umstroemung eines koerpers haengt von ihrer reynolds-zahl ab, sagt er.

 

er ist verrueckt geworden, sagt jemand.

er hat die zeit aufgegeben. oder sie ihn, sagt ein anderer.

 

jemand kommt zurueck. es ist einer unserer spaeher, der am eingang war.

das wetter schlaegt um, sagt er, spruehregen.

er hat eine bluete mitgebracht.

 

zu frueh, sagt jemand, es ist doch noch winter.

 

der wald hat sie mir geschenkt, als ich kurz aus der katakombe trat, sagt der spaeher.

sie ist ein vorbote des gewitters, sagt ein anderer,

ich sehe es an ihrem bluetenstand.

 

sie ist ein vorbote fuer alles, entgegnet der uhrmacher –

und verwandelt sich in etwas,

fuer das die zeit jetzt gekommen ist.

 

 

Montag, 22. Mai 2023

einfall der nacht

 

mir waechst jetzt auch haut zwischen den fingern.

wenn ich sie spreize,

sehe ich ziffern auf ihr.

vielleicht ist das der preis,

den ich dafuer zu zahlen habe.

 

ich ahne:

meine haende sind ein schwarzmarkt geworden

und handeln zu einem kurs,

den ich nicht kenne.

 

so kann ich nicht bleiben,

wo ich immer war –

und nehme ein zimmer in einem hotel.

 

wenn ich aus dem fenster schaue,

sehe ich ein winterbild.

mein mund wird immer ganz salzig davon,

und mein blick versteint.

ich warte dann auf die nacht,

die das bild in sich aufnimmt,

zerkaut und schließlich herunterschluckt.

(es kommt wieder)

 

hier im zimmer stuermt es dann.

ich finde das schoen.

und meine haende mit der haut dazwischen sind jetzt segel,

die mich heraustragen –

zu den baeumen hin.

Freitag, 14. April 2023

neu neu neu


studio ka/i berlin - raum für digitale literatur

von orla wolf 

 

studio ka/i berlin ist eine künstlerische mensch//ki-schnittstelle, experimentierfeld, labor, deep space.                                                               

hier entsteht hybrid/fluide literatur abseits des mainstream.

>>> www.studio-ka-i.com

 

 

 

Donnerstag, 9. Februar 2023

MY DEER - Der neue Film von Orla Wolf & Juliane Block


 - MY DEER -

Der neue Film von Orla Wolf &

Juliane Block

Unser Stop-Motion-Kurzfilm

My Deer

ist soeben fertig geworden!

Die Einreichung bei Filmfestivals startet!

 

Buch: Orla Wolf

Regie: Juliane Block


Kurzinhalt: Als ein junger Mann im Vorbeigehen in einem Wohnzimmer ein Hirschgeweih sieht, hält er sich selbst für diesen Hirsch und wird auf der Suche nach seiner Herkunft von der Bewohnerin, einer passionierten Jägerin, in eine felsige Landschaft auf der Rückseite ihres Hauses geführt, die sich als eine Geisterbahn entpuppt, in der sie alle leben.

 Mehr Infos zum Film (Fotos, Crew) >>> hier klicken

 

Filmförderung: nordmedia - Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen

Mittwoch, 8. Februar 2023

Gleichlauf

 

Er öffnete die Tür. Ein Mann im weißen Anzug stand im Flur. Er hatte einen großen Umschlag in der Hand, und seine Augen waren auf ihn gerichtet. Er wollte gerade etwas sagen, aber da bewegte er sich bereits auf ihn zu. Und auch er ging jetzt seinerseits auf ihn zu, blieb dann aber stehen.

„ Es tut mir leid. Ich wollte nicht stören", sagte er.

Er sah ihn einen Moment lang an, dann schaute er auf seine Schuhe und sagte: „Das sind Sie nicht."

Er wurde hellhörig.

„Ich weiß nicht, warum Sie hier sind oder wer Sie sind. Ich kenne Sie nicht. Sie sind ein Fremder“, sagte er.

„Wir sind hier alle Fremde", entgegnete er, während er sich umdrehte und zurück in sein Büro ging.

In diesem Moment wusste er es. Er war derjenige, der ihn ins Gefängnis geschickt hatte. Nicht andersherum. Sein erster Gedanke war: Er muss wissen, wer ich bin. Dann fiel ihm ein, dass das alles eine Falle war. Also drehte er sich wieder um.

„Es tut mir leid", sagte er.

Er lächelte und nickte und versuchte, sich so zu fühlen, als ob das alles hier einen Sinn ergeben würde. Sein Lächeln war dasselbe wie damals, und er sagte:

„Sie sind ich. Und ich bin Sie. Und wir fließen ineinander und können uns selbst nicht auseinanderhalten.“

„Ich werde diese Tür schließen“, erwiderte er, „sie soll die Grenze sein. Wenigstens für heute.“